Harald Pilar von Pilchau, Michael Hiller und Stefan Kiefer (v. li.) in „Mondlicht und Magnolien“ im Alten Schauspielhaus in Stuttgart. Foto: Haymann

Um ein Haar wäre der Film „Vom Winde verweht“, basierend auf dem Roman von Margaret Mitchell, nie gedreht worden. Die Komödie „Mondlicht und Magnolien“ zeigt, warum. François Camus inszeniert Ron Hutchinsons Stück im Alten Schauspielhaus Stuttgart.

Stuttgart - In großen Lettern prangt an der goldenen Tür des Büros der Name des Hollywood-Produzenten: David O. Selznick. Noch isst im Büro niemand Bananen und Erdnüsse, rauft sich verzweifelt die Haare oder mimt die Südstaatenschönheit Scarlett O’Hara aus dem Roman von Margaret Mitchell.

Das Produzenten-Büro erstreckt sich über die komplette Bühne des Alten Schauspielhauses, in der Mitte steht ein schicker Schreibtisch aus Holz, an der Wand hängt ein eingerahmtes Trikot der New York Yankees – und die Fensterfront mit Aussicht auf einen strahlend blauen Himmel inklusive Palme lässt einen glauben, man sei gar nicht in Stuttgart, sondern mitten in Los Angeles. Dort spielt im Jahr 1939 das Stück „Mondlicht und Magnolien“ von Ron Hutchinson. Es gibt Einblicke in die Entstehung des Filmes „Vom Winde verweht“ und bringt Chaos und manche Kuriosität auf die Bühne.

Bevor „Mondlicht und Magnolien“ an diesem Donnerstag im Alten Schauspielhaus Premiere feiert, proben die Schauspieler intensiv, während parallel an Bühnenbild und Beleuchtung gefeilt wird. „Geht das auch noch einen Tick türkisfarbener?“, ruft Intendant Manfred Langner während einer Probe am Dienstagvormittag nach hinten in die Regie. Er meint den Himmel, der auf der Leinwand augenblicklich noch ein kleines bisschen intensiver leuchtet. „Ja, gerne, so gefällt es mir besser“, sagt Regisseur François Camus.

Die Dreharbeiten: schwierig, aufwendig, nervenaufreibend

Für den 35-jährigen Franzosen, der in Paris geboren ist und heute in Berlin lebt, ist es ungewöhnlich, dass er nicht nur bei den Schauspielproben dabei ist, sondern auch bei den Technikproben. Letztlich kann Camus auch nur intuitiv beurteilen, von wo das Licht kommt und wie stark es sein muss, wenn Schauspieler Michael Hiller alias David O. Selznick von seinem Stuhl aufsteht und in Richtung Publikum läuft.

„Die Arbeit mit den Schauspielern interessiert mich mehr als das Licht und das Drumherum, das natürlich für den Gesamteindruck genauso wichtig ist. Aber das habe ich ja nicht studiert, da gibt es andere, die das viel besser entscheiden können als ich“, sagt der gelernte Schauspieler und Regisseur, der mit seiner Inszenierung von „Mondlicht und Magnolien“ zeigen will, wie schwierig, aufwendig und nervenaufreibend die Dreharbeiten zu dem Südstaatenepos gewesen sein sollen.

Hutchinsons Komödie beruht auf wahren Begebenheiten. Drei Jahre arbeitet Produzent Selznick an der Entstehung des Filmes, der 220 Minuten lang ist und zehn Oscars einheimst. Allein die Suche nach der Besetzung für die weibliche Hauptrolle dauert Monate – letztlich entscheidet sich Selznick für die blutjunge Britin Vivien Leigh als Scarlett O’Hara. Im Januar 1939 beginnen endlich die Dreharbeiten zu „Vom Winde verweht“. Doch es dauert nicht lange, bis Selznick alles über den Haufen wirft, den Regisseur feuert und auf einem neuen Drehbuch besteht.

Der Drehbuch-Autor hat die 1120 Seiten lange Vorlage nicht gelesen

Rettung naht in Gestalt des Star-Regisseurs Victor Fleming und des Drehbuch-Autors Ben Hecht. Genau hier beginnt das Problem in „Mondlicht und Magnolien“: Hecht, der das neue Drehbuch schreiben soll, hat Mitchells 1120 Seiten langen Schmöker gar nicht gelesen. Die Komödie beginnt mit dem Satz „Du hast das Buch nicht gelesen?“ – für Camus der perfekte Einstieg: „Man ist sofort mittendrin und wird in das Stück hineingezogen.“

Um Hecht den literarischen Klassiker näherzubringen, verbarrikadiert Selznick ihn, Fleming und sich selbst tagelang in seinem Büro. Um wach zu bleiben, mampfen die drei ununterbrochen Bananen und Erdnüsse, Selznick gibt als verkleidete Scarlett O’Hara sein Bestes, während Ober-Macho Victor Fleming das naive Sklavenmädchen Prissy mimt – alles nur, um Hecht dazu zu bringen, dass er das neue Drehbuch schreibt.

François Camus bringt die Komödie mit vier Schauspielern auf die Bühne: Neben Michael Hiller als David O. Selznick ist Harald Pilar von Pilchau als Drehbuch-Autor Ben Hecht zu sehen, Stefan Kiefer als Regisseur Victor Fleming und Ulrike Barthruff als Selznicks Sekretärin Miss Poppenghul.

Sein besonderes Augenmerk liegt auf der Glaubwürdigkeit

Anders als damals bei Selznick ging das Casting bei François Camus und Intendant Manfred Langner schnell vonstatten. Einen Favoriten hatte Camus bereits im Vorfeld: „Michael Hiller stand für mich schon als Selznick fest, aber auch bei den anderen Schauspielern wussten wir recht schnell, wen wir wollen.“

Die Arbeit mit den Schauspielern sei sehr intensiv, sagt Camus, mache aber auch viel Spaß. Sein besonderes Augenmerk liegt auf der Glaubwürdigkeit, mit der die Schauspieler den Text zum Leben erwecken sollen. Da neben vielen komischen Szenen auch ernste Themen wie der ausbrechende US-amerikanische Bürgerkrieg zur Sprache kommen, bedarf es einer gesunden Mischung: „Die Texte sind knackig und pointiert. Letztlich müssen sie für den Zuschauer einfach glaubwürdig rüberkommen. Zu oberflächlich darf es nicht sein, aber genauso wenig sollte das Stück zu einer Art Dokumentarfilm verkommen.“

Ob Camus das gelingt, können die Zuschauer von diesem Donnerstag an im Alten Schauspielhaus selbst beurteilen.