Verbraucherschützer Niels Nauhauser fordert die Trennung zwischen Beratung und Verkauf Foto: Lichtgut/Horst Rudel

Die Politik hat ein offenes Ohr, wenn Versicherungen und Bausparkassen über Niedrigzinsen klagen. Niels Nauhauser sieht das kritisch. Es sei nicht Aufgabe der Volksvertreter, Gesetzeswünsche der Finanzlobby eins zu eins umzusetzen, sagt der Verbraucherschützer.

Die Politik hat ein offenes Ohr, wenn Versicherungen und Bausparkassen über Niedrigzinsen klagen. Niels Nauhauser sieht das kritisch. Es sei nicht Aufgabe der Volksvertreter, Gesetzeswünsche der Finanzlobby eins zu eins umzusetzen, sagt der Verbraucherschützer.
Herr Nauhauser, als Verbraucherschützer sind Sie für manche Versicherung oder Bank eine Reizfigur. Stört Sie das?
Das stört mich und meine Kollegen nicht. Wir treten für eine sachliche Auseinandersetzung ein. Wir geben den Verbrauchern eine hörbare Stimme. Da liegt es in der Natur der Sache, dass man sich mit der Anbieterseite auch mal reiben muss.
Sie reiben sich sicher auch mit Verbrauchern, wenn diese nicht Recht bekommen. Braucht man als Verbraucherschützer ein dickes Fell?
Nein. Es gibt Probleme, die wir kurzfristig durch eine Fachberatung lösen können, und es gibt Probleme, die wir nur politisch lösen können. Dazu braucht es aber auch Bürger, die sich für Änderungen in der Politik stark machen. Nehmen Sie das Lebensversicherungs-Reformgesetz: Wir haben sehr laut dagegen opponiert. Dabei haben uns die vielen Betroffenen geholfen, die sich an ihre Abgeordneten gewandt haben und so Druck aufgebaut haben.
Ganz aktuell drängen Bausparkassen Kunden aus gut verzinsten Bausparverträgen. Dürfen Sie das wirklich nicht, um das Bausparkollektiv als Ganzes zu retten?
Wenn es so ist, dass Bausparkassen mit dem Rücken zur Wand stehen, dann sollten sie damit argumentieren und das auch nachweisen. Ich sehe das nicht. Die Bausparkassen schreiben weiterhin Gewinne und verzeichnen Rekorde bei Neuabschlüssen. Es gibt bisher keine Belege dafür, dass es um die Existenz der Unternehmen geht. Zur Marktwirtschaft gehört nicht nur, dass Anbieter Gewinne erzielen. Dazu gehört auch, dass Bausparkassen, deren Manager Fehler machen, vom Markt verschwinden. Die Finanzindustrie scheint es sich zur Gewohnheit zu machen, Gewinne zu privatisieren und Verluste beim Steuerzahler oder bei den eigenen Kunden abzuladen.
Die Politik hat ein offenes Ohr, wenn Versicherungen über die Niedrigzinsen klagen und vermutlich auch, wenn Bausparkassen das tun. Im ersten Fall wurde die Ausschüttung bei den Bewertungsreserven geändert, im zweiten könnten Kündigungsmöglichkeiten erweitert werden. Wie sehen Sie das?
Sehr kritisch. Aufgabe der Volksvertreter ist es nicht, Klientelpolitik zu machen, in diesem Fall Gesetzeswünsche der Finanzlobby eins zu eins umzusetzen. Mir fehlt allzu oft im Finanzdienstleistungsbereich der Interessenausgleich. Ich sehe in der Regel nur die Interessen der Anbieterseite berücksichtigt und nicht die Interessen der Verbraucherseite. Und wenn es Maßnahmen beschlossen werden, die Verbrauchern zu Gute kommen sollen, sind es Maßnahmen wie Beratungsprotokolle und Beipackzettel, die nicht die notwendige Wirkung erzielen können.
Sie sind demnach nicht zufrieden mit Beratungsprotokoll und Beipackzettel, der Kosten und Risiken eines Wertpapiergeschäfts aufzeigt?
Genau, ganz und gar nicht. Wir haben die Beratungsprotokolle und Beipackzettel nie gefordert. Diese Instrumente wirken nicht in einem Markt, in dem Vertrauen und Verlässlichkeit entscheidend ist. Zusätzliche Informationen machen die Beratung nicht automatisch besser. Der Gesetzgeber muss die Marktregeln so setzen, dass Beratung tatsächlich bedarfsgerecht ist.
Was läuft schief?
Ein Beispiel: Es geht nicht, dass eine Sparkasse einer Rentnerin mit 130 000 Euro Vermögen empfiehlt, für diese Summe ein Zertifikat zu kaufen, selbst wenn das Zertifikat ein Garantieelement enthält. Alles auf eine Karte zu setzen, ist ein Unding und verstößt gegen das Gebot, das Risiko zu streuen. So eine Beratung ist nicht bedarfsgerecht. Aus meiner Sicht ist das eine vorsätzliche Falschberatung. Aber die Gerichte sagen, solange die Bank über die Risiken aufklärt, ist es keine Falschberatung.
Was fordern Sie?
Wir sind erstens für eine klare Trennung zwischen Beratung und Verkauf, zweitens müssen Finanzberater für bedarfsgerechte Beratung qualifiziert sein und drittens muss die Aufsicht verbessert werden. Beim letzten Punkt hat sich mit dem Beraterregister etwas bewegt. Leider werden die Ergebnisse der Aufsicht nicht veröffentlicht. Es ist nirgends nachzulesen, wie viele Beschwerden es bei welcher Bank gibt. Wäre das öffentlich, wäre der Anreiz für die Banken, sich zu verbessern, überhaupt erst gegeben.
Einige Kreditinstitute ziehen sich aus der Wertpapierberatung bei normalen Kunden zurück. Das kann nicht im Sinne der Verbraucher sein?
Wenn sie sich aus einer schlechten Beratung zurückziehen, ist das durchaus im Sinne der Verbraucher. Es gibt immer noch Banken, die ihren Kunden auf Basis von Marktprognosen Kaufempfehlungen für Aktien, Fonds und Zertifikate geben, obwohl wissenschaftlich belegt ist, dass man so nicht investieren sollte. In die Zukunft schauen kann niemand, deshalb ist es unseriös, Kaufempfehlungen auf der Basis von Hokuspokus-Prognosen zu geben. Wenn diese Beratung verschwindet, weine ich ihr keine Träne nach, denn das ist keine Anlageberatung, das ist bestenfalls Spekulation.
Kreditinstitute sagen, Kunden wollen für eine Beratung kein Honorar zahlen.
Woher nehmen die Kreditinstitute das? Schließlich haben die Kunden in den letzten Jahren gelernt, dass sie misstrauisch sein sollten gegenüber Beratern, dass Unternehmen ihre Verkaufsziele über die Bedürfnisse ihrer Kunden stellen. Von daher ist es völlig verständlich, dass Verbraucher nicht für eine Beratung bezahlen wollen, wenn sie nicht wissen, was sie dafür bekommen. Wenn die Spielregeln so wären, dass der Kunde sich auf die Beratung verlassen kann, wäre er auch bereit, dafür zu bezahlen. Er tut es ja heute auch, das Honorar ist nur versteckt in den Produktkosten.
Banken argumentieren oft, solange Anlageprodukte gut laufen, sind Kunden zufrieden, wenn es schlecht läuft, beharren sie darauf, falsch beraten zu sein. Ist das so?
Nein. Beim Autokauf beschwert man sich auch, wenn der Motor nicht anspringt. Solange er läuft, beschwert man sich nicht. Das Problem bei Finanzprodukten ist allerdings: Das sind Vertrauensgüter. Hier liegt es in der Natur der Sache, dass man die Qualität beim Kauf nicht erkennen kann, sondern allenfalls, wenn das Produkt fällig ist. Und außerdem rufen die Automobilhersteller im Gegensatz zur Finanzbranche ihre fehlerhaften Produkte auch zurück.
Können Sie Unternehmen nicht verstehen, die ja die Minizinsen nicht vorhersehen konnten? Die Sparkasse Ulm hat ihr Scala-Produkt schon 2005 vom Markt genommen. Trotzdem laufen die gut verzinsten Verträge noch 25 Jahre.
Nein, überhaupt nicht. Gerade Banken sollten mit Zinsänderungsrisiken umgehen können. Die Sparkasse Ulm hat mit dem Scala-Sparbuch über viele Jahre Gewinne gemacht. Das Produkt war in den Anfangsjahren nicht attraktiv für Verbraucher. Die Sparkasse sollte jetzt auch für das Produkt geradestehen und die Zinsen vertragsgemäß bezahlen – so war das Geschäft vereinbart. Es geht auch hier übrigens längst nicht um Größenordnungen, die das Institut nicht schultern könnte.
Was nehmen Sie sich für 2015 vor?
Wir starten bundesweit mit dem Aufbau des Finanzmarktwächters, wobei der Themenschwerpunkt Altersvorsorge und Geldanlage in Stuttgart liegen wird. Die Verbraucherzentralen werden eine gemeinsame Marktbeobachtung auf die Beine stellen, indem sie bundesweit Verbraucherberatungen und Beschwerden aussagekräftig auswerten.
Wie sieht das konkret aus?
Wir werden uns beispielsweise anschauen, welche Angebote in der Altersvorsorge warum nicht bedarfsgerecht sind, wo Banken Verbraucher bei der Vorfälligkeitsentschädigung benachteiligen, welche Erfahrungen es mit Erstattung der rechtswidrigen Kreditbearbeitungsgebühren gibt oder welche Maschen bei Kündigungen von Bausparverträgen auffallen. Dort, wo Anbieter Verbraucher übervorteilen, werden wir den Finger weiter in die Wunde legen und nachhaltige Lösungen für Verbraucher entweder vor Gericht erstreiten oder von der Politik einfordern.