Aus dem Stand ist seine Partei in die Landtage von Sachsen, Thüringen und Brandenburg eingezogen: Bernd Lucke, Mitbegründer der AfD. Foto: Getty

Nach Erfolgen bei drei Landtagswahlen im Osten ist die AfD in aller Munde. Der Politikwissenschaftler Frank Decker gibt ihr gute Chancen, sich dauerhaft im Parteiensystem zu etablieren.

Nach Erfolgen bei drei Landtagswahlen im Osten ist die AfD in aller Munde. Der Politikwissenschaftler Frank Decker gibt ihr gute Chancen, sich dauerhaft im Parteiensystem zu etablieren.
 
Herr Decker, die AfD ist gekommen, um zu bleiben, das scheint immer klarer zu werden. Was nicht so klar ist – wofür steht die AfD?
Darauf gibt es keine einfache Antwort. Klar ist jedenfalls, dass die AfD Nischen im deutschen Parteiensystem besetzt. Eine Nische ist durch den Niedergang der FDP geöffnet worden. Die AfD kann dort mit wirtschaftsliberalen Positionen punkten, die sich auch mit der Eurokritik verbinden lassen, mit der sie ja ursprünglich angetreten ist. Eine weitere Nische hat die Union frei gemacht, die konservative Positionen in der Gesellschaftspolitik nicht mehr glaubwürdig vertreten kann, weil sie diese nach und nach geräumt hat. In dieser Kombination sehe ich eine Etablierungschance für die AfD.
Ein klares Profil ergibt das aber noch nicht.
Die Frage ist jetzt, was die Partei künftig stärker betonen wird. Versucht sie, sich als wirtschaftsliberale Kraft an die Stelle der FDP zu setzen, oder tendiert sie doch mehr in eine Richtung, die in Europa zur Erfolgsformel des Rechtspopulismus geworden ist. Die Stichworte dazu lauten: Rückzug in die Nationalstaatlichkeit, antiliberale Gesellschaftspolitik, wirtschaftlicher Protektionismus. Die Erfolge in Ostdeutschland deuten eher auf letzteres hin.
Wenn sich eine solche Kraft dauerhaft einrichten könnte – was würde das für das deutsche Parteiensystem bedeuten?
Ich würde darin eher eine Normalisierung sehen. Bisher war unser Parteiensystem im europäischen Vergleich ein Ausnahmefall. Das hatte auch historische Gründe. Parteien am rechten Rand des Spektrums wurden bei uns stets mit dem Rechtsextremismus in Verbindung gebracht, was naturgemäß stigmatisierend wirkt. Bei der AfD ist das nicht ohne weiteres möglich.
Warum?
Die Leute, die die Partei gegründet haben, darunter viele renommierte Professoren, sind keine Extremisten. Sie sehen die Partei als gemäßigte liberal-konservative Kraft. Das schließt die Gefahr einer Unterwanderung durch extremistische Vertreter natürlich nicht aus. Es begünstigt sie sogar, weil gerade Parteien wie die AfD diesen Vertretern eine Gelegenheit bieten, ihrer eigenen Stigmatisierung zu entrinnen.
Bisher haben die etablierten Parteien die AfD ignoriert. Wird es Zeit, sich ernsthaft mit ihr zu beschäftigen?
Das halte ich für eine Selbstverständlichkeit. Man kann Parteien ignorieren, die keine Rolle spielen, um sie nicht ohne Not ins Gespräch zu bringen. Über das Stadium ist die AfD längst hinaus, das war sie schon bei der Bundestagswahl. Eine andere Frage ist, ob man politisch mit ihr zusammenarbeitet. In Belgien und Frankreich wurden Koalitionen mit Rechtspopulisten von den etablierten Parteien bislang stets ausgeschlossen. Das kann aber zu Blockaden im Parteiensystem führen, die dann die Rechtspopulisten nur noch stärker machen.
Was ist die Alternative?
Die Alternative wäre, sie bewusst in Regierungsverantwortung zu bringen, wie das etwa mit der FPÖ in Österreich geschehen ist, um sie darüber politisch zu „entzaubern“. Diese Frage könnte irgendwann auch auf die Union zukommen, die ja mit dem Niedergang der FDP ihren natürlichen Partner zu verlieren droht.
Im Osten haben vor allem junge Männer die Partei gewählt. Hat Sie das überrascht?
Nein, es ist ein altbekanntes Phänomen, dass die Rechtsparteien vor allem bei Männern und bei jüngeren Wählergruppen überdurchschnittlich abschneiden. Die AfD profitiert davon genauso wie die Rechtsparteien in anderen europäischen Ländern.
Die AfD hat zudem Menschen angezogen, die bisher alles Mögliche gewählt haben, von der Linkspartei bis zur CDU. Sie ist eine Art Schmelztiegel für die politischen Lager. Wie ist das zu erklären?
Es wäre zu kurz gegriffen, wenn man die AfD als reine Protestpartei beschreibt, die alle Unzufriedenen einsammelt. In den neuen Ländern war die Linke bisher der wichtigste Adressat für solche Wähler. Regiert die Linke aber mit, so wie in Brandenburg, produziert das ebenfalls Unzufriedenheit, die sich dann neue Kanäle sucht. Davon hat in der Vergangenheit auch die NPD profitiert. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die die AfD aus Überzeugung wählen.
Inwiefern?
Die haben früher vielleicht die CDU gewählt, weil es eine andere, stärker konservativ ausgerichtete Alternative im Parteiensystem nicht gab. Auch unter den Wählern der linken Parteien sind viele für die Parolen der Rechtspopulisten empfänglich, wenn es zum Beispiel um das Thema Einwanderung und die angebliche Gefährdung des Wohlstands geht. Auch das ist übrigens ein europäisches Phänomen. Überall sind die Rechtsparteien seit Mitte der 90er Jahre stark in die Wählerschaft linker Parteien eingebrochen.
Was bedeutet das alles für die FDP? Kann Sie überhaupt noch einmal zurückkommen?
Die FDP hat in den 70er Jahren ihre nationalliberalen und konservativen Wurzeln gekappt und in der Gesellschaftspolitik seither eher linke Positionen eingenommen. Gerade diese sind heute aber im deutschen Parteiensystem breit vertreten, denken sie nur an die Grünen. Deshalb ist es für die FDP brandgefährlich, wenn nun eine Partei kommt, die wirtschaftsliberale Positionen mit einer konservativen gesellschaftspolitischen Ausrichtung verbindet.
Also bleibt die AfD dauerhaft?
Ob die AfD sich dauerhaft etablieren kann, ist zwar noch nicht sicher ausgemacht. Auf die Partei könnten heftige Richtungskonflikte zukommen, die sie schiedlich-friedlich austragen muss, um ein einigermaßen geschlossenes Auftreten sicherzustellen. Gelingt ihr das, könnte sie die FDP tatsächlich verdrängen.