Die Lehrerin Doris Neu mit alten Fotos ihrer Erstklässler aus den Jahrgang 1961: Weitere Bilder aus alten Schulzeiten gibt es in unserer Bildergalerie. Foto: Lisa Wazulin

Das Alte Schulhaus an der Scharnhauser Straße wird abgerissen. Ehemalige Schüler und Lehrer verabschieden sich.

Plieningen - Ein letztes Mal laufen die ehemaligen Schüler durch ihr altes Klassenzimmer. „Da hinten, in der zweiten Reihe, da war mein Platz damals“, erinnert sich der eine, während ein anderer ergänzt: „Stimmt, hier hat mir der Herr Kopf auf die Tatze gehauen.“ Zwar liegt die Schulzeit der meisten schon etliche Jahre zurück, beim Abschied von ihrem alten Schulhauses an der Scharnhauser Straße werden aber manche Erinnerungen wach.

Nachdem ein Pilz das Gebäude befallen hatte, wird das Alte Schulhaus endgültig abgerissen. Damit geht für viele Plieninger nicht nur ein Stück Heimat verloren, sondern auch ein Stück Kindheit. Als eines von drei Schulhäusern im Stadtteil kann das an der Scharnhauser Straße wohl am meisten erzählen. Gebaut in den 1840er-Jahren hat es nicht nur zwei Weltkriege überstanden, sondern auch den Einsturz einer ganzen Etage, eine exotische Schlange beherbergt und unzählige Plieninger auf das Leben vorbereitet.

Aus Pierre wurde Peter

Wie wichtig dieses alte Gebäude für den Stadtteil war und immer noch ist, weiß auch die Bezirksvorsteherin Andrea Lindel. Sie hat vergangen Dienstagabend zum Verabschieden aufgerufen, eine letzte Begegnung vor dem Baggerbiss. „Für die meisten ist das nicht einfach ein Gebäude, da hängt das Herz dran“, sagt Lindel. Damit sollte sie recht behalten: Schon nach kurzer Zeit beleben die Anekdoten ehemaliger Schüler das mittlerweile leer stehende Schulhaus. Noch draußen auf dem Hof erinnert sich Pierre Cavadini an seine Schulzeit: „Genau hier haben wir am Geburtstag von Adolf Hitler am 20. April stramm stehen müssen; unser Lehrer kam in Uniform“, erzählt der 83-Jährige. Im Jahr 1939 kam er mit seiner Familie von Frankreich nach Deutschland, und aus dem Franzosen Pierre wurde der Deutsche Peter. „Wir waren die ersten Ausländer hier; damals gab es so etwas wie Flüchtlinge noch nicht“, stellt er heute mit einem Grinsen fest.

Cavadinis Lehrer – Herr Kopf – muss unter den Schülern besonders bekannt gewesen sein: Beim Klang seines Namens geht ein Raunen durch die Gruppe, die sich mittlerweile in einem der drei Klassenzimmer versammelt hat. Fast eine ganze Schulklasse ist gekommen, ; viele Schüler sind darunter, aber auch eine ehemalige Lehrerin.

„Damals haben die Lehrer noch im Schulgebäude gewohnt“, berichtet Tilo Schad. Auch er ist hier zur Schule gegangen und hat eine kleine Zeitreise zum Abschied vorbereitet. Er selbst ist Augenzeuge des Einsturzes der oberen Etage gewesen – verursacht durch einen Wasserschaden. „Als wir montags in die Schule kamen, lag die ganze Decke einfach auf den Tischen“, erinnert er sich. Die Ehefrau seines Lehrers hatte wohl vergessen, den Hahn der Badewanne zuzudrehen. Schad grinst bei dem Gedanken daran; schließlich bedeutete dies: schulfrei!

Exotische Schlange im Einmachglas

Zwar hatte sich das Alte Schulhaus als robust erwiesen, aber 80 Jahre später wurde es zu klein. Ein neues Gebäude musste her. Trotzdem blieb das Schulhaus seinem Namen noch lange treu: Auch in den 1960er-Jahren tobten noch Kinder durch das Gebäude, die von der Lehrerin Doris Neu in Zaum gehalten wurden. Die Rentnerin hat für den Abschied alte Klassenfotos und Geschichten aus dem Schrank geholt. „Ein Schüler hat mir einfach eine exotische Schlange im Einmachglas geschenkt“, erzählt sie belustigt. „Natürlich habe ich direkt in Hohenheim angerufen.“ Auch dort ist man mit dem Schulhaus verbunden: Bis zum vergangenen Herbst beherbergte das Gebäude die Gartenbauschule, bis die Stadt nach langem Kampf statt Sanierung den Abriss verkündet hat. „Wir sind sehr wütend über den Abriss“, sagt Hermann Richter. Man habe es zu lange verkommen lassen, nur um es dann abzureißen, findet der ehemalige Schüler. Nach 170 Jahren Geschichte müssen die Plieninger jetzt gemeinsam mit der Stadt einen Ersatz finden.