Der Holz- und Weinfassküfer Karl Müller – auch als Rentner noch gefragt Foto: factum/Granville

Immer weniger Jugendliche machen eine Ausbildung im Handwerk, Tausende Stellen sind unbesetzt. Warum sich eine Ausbildung dennoch lohnt: In vier Porträts erzählen Handwerker, was sie an ihrem Beruf fasziniert, warum ihr Expertenrat auch als Rentner noch gefragt ist – und warum Totgesagte oft länger leben.

Ludwigsburg/Stuttgart - Immer weniger Jugendliche machen eine Ausbildung im Handwerk, Tausende Stellen sind unbesetzt. Warum sich eine Ausbildung dennoch lohnt: In vier Porträts erzählen Handwerker, was sie an ihrem Beruf fasziniert, warum ihr Expertenrat auch als Rentner noch gefragt ist – und warum Totgesagte oft länger leben. Ein Plädoyer für das Handwerk.

Der Küfer ist auch noch als Rentner gefragt

Fässer sind seine Leidenschaft. Das sieht und spürt man, wenn man Karl Müller trifft. In seiner Wohnung in Ludwigsburg finden sich liebevoll gefertigte Holzfässer in Miniaturform, und an der Wand im Esszimmer hängen Holzfassböden, die mit bunten Weinkristallen verziert sind. Das beste Stück steht in seinem Keller: Dort bewahrt der 79-Jährige ein Holzfass mit drei Kammern auf. Darin kann er nicht nur Weiß- und Rotwein, sondern auch Schnaps lagern – und zwar so, dass alles die richtige Temperatur hat.

Im Alter von 13 Jahren begann Karl Müller seine Ausbildung zum Holz- und Weinküfer. „Der Beruf wurde mir quasi in die Wiege gelegt, mein Großvater und mein Vater waren Küfer.“ Die Lehre machte er im Betrieb seines Vaters in Tamm. Nach drei Jahren ging er auf Wanderschaft, sammelte Erfahrungen in Österreich und Italien. „Ich bin alles zu Fuß gegangen, und weil es nicht überall Grenzstationen gab, wusste ich manchmal nicht, dass ich schon in einem anderen Land war.“

Zurück in Deutschland, entschied sich der junge Karl, das zu machen, was ihn schon immer reizte: große Fässer zu bauen, die ein Fassungsvermögen von bis zu 35 000 Litern haben. Die Firma Rieger in Mundelsheim bot ihm diese Gelegenheit. 48 Jahre blieb er der Firma treu. Auch weil er sich dort weiterentwickeln konnte. Karl Müller machte in Weinsberg den Holz- und Weinküfermeister wie auch den Kellermeister. „In meinem Beruf kommt es auf die Kleinigkeiten an: Wie ist der Holzstamm gewachsen? Wie kann man ihn so verarbeiten, dass nachher alles perfekt passt? Das macht den Reiz aus.“ Und weil er auch bei Edelstahlfässern selbst Hand anlegte, ließ er sich obendrein zum Schweißer ausbilden.

Müller reiste für Rieger quer durch Europa, nach Afrika und Amerika. „Ich war überall, wo Wein angebaut wurde, und habe von allen Fässern, die ich gefertigt habe, sämtliche Schritte dokumentiert, das erleichterte später die Arbeit.“ Wie viel er verdient hat? Karl Müller lacht verschmitzt und sagt: „Ich hatte ein gutes Auskommen.“

Auch heute als Rentner ist sein Rat als Experte noch immer gefragt. Im Weingut Herzog von Württemberg etwa. Im Weinkeller des Schlosses Monrepos in Ludwigsburg wurde auch das Foto gemacht, das ihn auf einem Holzfass zeigt. „Es ist ein schönes Gefühl, wenn man gebraucht wird“, sagt er. „Holz- und Weinfassküfer ist ein aussterbender Beruf, es gibt nur noch wenige, die ihn hier bei uns ausüben.“ Auch aus diesem Grund lässt ihn seine Leidenschaft bis heute nicht los. Und Arbeit hält jung: Seine 79 Jahre sieht man ihm nicht an.

Der Geigenbauer – Er erkennt am Spiel den Charakter des Menschen

Bernward Goes sagt von sich, er sei ein Stadtgeigenbauer: Einer, der sich in seiner Werkstatt in Stuttgart-Vaihingen um Streichinstrumente kümmert, sie begutachtet, repariert und pflegt – und den Musikern genau zuhört, wenn sie erzählen, dass sich der Ton ihres Streichinstrumentes verändert hat. „Kein Instrument ist wie das andere“, sagt der 50-Jährige, „aber auch kein Musiker ist wie der andere.“ Musiker und Instrument in Einklang zu bringen – das ist eine seiner reizvollsten Aufgaben.

Wie auch das Instrumentenbauen selbst. „Sich Geigenbauer zu nennen und jahrelang kein eigenes Instrument zu machen ist undenkbar für mich“, sagt der Vater von zwei Töchtern. „Da geht es auch um die eigene Glaubwürdigkeit.“ Behutsam nimmt der Handwerker eine selbst gefertigte Violine aus dem Schrank . 250 Stunden arbeitet er im Schnitt an einem solchen Instrument, das am Ende 12 000 Euro und mehr kostet. „Es ist spannend zu sehen, wie die Menschen zu den Instrumenten passen. Man erkennt ihren Charakter, der eine spielt leise oder ist zurückhaltend, der andere säbelt drauf los.“

Eine Massenproduktion, wie sie traditionell in den Manufakturen im vogtländischen Musikwinkel oder im fränkischen Bubenreuth an der Tagesordnung ist, käme für ihn nicht infrage. Für Bernward Goes ist Geigenbau individuelle Arbeit, die Zeit, Präzision und Geduld erfordert: Er sucht eigenhändig die Holzstämme für die Instrumente auf der Schwäbischen Alb oder in Südtirol aus, kocht den Lack selbst und orientiert sich bei den eigenen Arbeiten an klassischen Traditionen.

Sein Handwerk hat Bernward Goes im italienischen Cremona gelernt. Die Stadt in der Lombardei gilt weltweit als die Wiege des Geigenbaus – Antonio Stradivari und Nicolò Amati haben dort ihre Meisterstücke gefertigt. Vier Jahre dauerte seine Ausbildung, danach arbeitet er in Stuttgart und dann im schwedischen Malmö. 3000 D-Mark brutto (1500 Euro) verdiente er damals als Geselle. Im Jahr 2000 wagte der gebürtige Korntaler den Sprung in die Selbstständigkeit. „Dies war nur möglich, weil meine Frau auch ein Einkommen hatte.“ Anfangs diente die Familienwohnung als Werkstatt, und mehr als ein Taschengeld blieb unterm Strich nicht übrig. Nach drei Jahren konnte er in Vaihingen die eigene Werkstatt eröffnen. Über mangelnde Arbeit kann sich Bernward Goes nicht beklagen. Dennoch hat er sich entschieden, ein Ein-Mann-Betrieb zu bleiben. „Meine Freiheiten sind mir mehr wert.“ Dazu gehört auch, sich Zeit fürs Geigenspielen zu nehmen. „Es ist wichtig, die gleiche Sprache wie die Musiker zu sprechen.“

Die Buchbinderin bewahrt Altes und schützt es

Egal ob Nachschlagewerke, Romane, Biografien, Doktorarbeiten oder Wissenschaftsbände: Gudrun Storz bekommt tagtäglich zig Bücher in die Hände. Eines kommt für sie aber nicht infrage: wegwerfen – egal wie abgegriffen der Einband ist, wie stark die Nähte gerissen oder die Seiten zerfleddert sind. Selbst gebrochene Buchrücken kann sie reparieren. Zeitschriften und Borschüren bringt sie wieder in Form. Gudrun Storz ist Buchbinderin und Meisterin ihres Fachs. Seit 1997 arbeitet die gebürtige Berlinerin in der Unibibliothek Stuttgart.

„Ich bin meine eigene Dienststellenleiterin“, sagt sie und lacht. Die meiste Zeit arbeitet sie alleine in dem lang gezogenen Raum, der sich hinter der Ausleihstelle im ersten Stock befindet und von dem aus man auf die Hauptstraße blickt. Fein säuberlich stehen die Bücher in den Regalen oder stapeln sich auf dem Tisch. In den Anfangszeiten hatte Gudrun Storz noch zwei Kollegen, die Buchbinderei der Uni hatte 2,5 Stellen. Inzwischen werden Aufträge, die Gudrun Storz nicht alleine bewältigen kann, aus Kostengründen an externe Buchbinder vergeben. „Es ist ein aussterbender Beruf“, bedauert die 54-Jährige. „Handarbeit ist teuer, gerade im Zeitalter der Digitalisierung.“ Zudem liegt das Einstiegsgehalt nach der Lehre bei etwa 1600 Euro brutto. Sie selbst ist da besser gestellt, weil sie an der Uni als öffentliche Angestellte arbeitet.

Besonders freut es Gudrun Storz, dass sie seit 2005 den Nachwuchs ausbilden kann. Das macht ihr sehr viel Spaß, denn dann kann sie auch den Auszubildenden zeigen, wie man kunstvoll gefertigte Einbände und Fotoalben aus Leder, Leinen oder Kunststoff herstellt und Skizzenbücher, Schachteln oder Kästchen mit selbst gefärbtem Papier bezieht. Und wenn dann ein Auszubildender seine Lehre als Bester mit einem Kammersieg abschließt, ist Gudrun Storz besonders stolz.

20 Bewerber haben sich dieses Jahr für eine Ausbildung interessiert. „In Spitzenzeiten waren es bis zu 50.“ Der Rückgang liege auch daran, dass es schwer sei, eine Stelle nach der Lehre zu finden. „Man muss flexibel sein und dorthin gehen, wo es einen Job gibt.“ Trotzdem bestünden auch in diesem Beruf Möglichkeiten. „Wer gut ist, gute Produkte herstellt und sich unverzichtbar macht, kann seine Nische finden.“ Zudem könne man sich weiterbilden – und mit dem Abitur auch ein Restauratorenstudium machen.

Für Gudrun Storz hat die Buchbinderei nach mehr als 30 Jahren nicht an Reiz verloren. „Altes zu bewahren und zu schützen, Neues zu entwickeln und zu gestalten macht den Beruf spannend.“

Die Modistin verändert mit dem Hut den Menschen

Sie hat Arzthelferin gelernt, war lange im Einzelhandel und hat mit 40 entschieden, noch mal von vorne anzufangen – als Hutmacherin, auch Modistin genannt. „Ich hatte einen guten Job, den ich gern gemacht habe, aber irgendwann war mir klar, dass ich nicht bis zum Rentenalter im Verkauf bleiben wollte“, erzählt Doris Buirel. Doch damals war es nicht einfach, einen Ausbildungsbetrieb zu finden. „Ich musste meine Kreise immer weiter ziehen und fand schließlich in Augsburg eine Stelle.“ Das bedeutete für sie: Jeden Morgen kurz vor fünf Uhr aufstehen, mit dem Zug von Kornwestheim nach Augsburg fahren und abends erst nach 20 Uhr wieder zurückzukommen. Eine zweite Wohnung konnte sie sich bei einem Lohn von 300 D-Mark brutto (150 Euro) im ersten Lehrjahr nicht leisten.

Warum sie das alles auf sich nahm? Doris Buirel wollte gerne mit den Händen arbeiten, eigene Ideen entwickeln und mit verschiedenen Stoffen arbeiten. „Filz ist ein tolles Material. Man kann es wunderbar formen, immer wieder ändern und aufrichten.“ Für den Beruf nahm sie auch in Kauf, dass sie mit Auszubildenden in einer Klasse saß, die halb so alt waren wie sie. „Ich habe mich mit allen gut verstanden, wurde respektiert.“ Sie konnte ihre Lehrzeit verkürzen und legte nach zwei Jahren ihre Gesellenprüfung ab. Sie hatte Glück und bekam eine Stelle am Staatstheater in Stuttgart. Dem Theater ist Doris Buirel bis heute treu geblieben. „Ich bereue die Entscheidung keine Sekunde, es ist ein toller Beruf“, sagt die 63-Jährige. Sie komme mit Kostümbildnern und vielen nicht alltäglichen (Kunst-)Handwerkern zusammen – und gerade die Teamarbeit mache den Reiz aus. Denn jeder habe eine Idee davon, wie das Werk am Ende aussehen soll – und diese Vorstellungen muss sie unter einen Hut bringen. „Ein Hut verändert den Menschen, jedes Modell macht etwas anderes aus ihm.“

Als Angestellte im öffentlichen Dienst, die nach Tarif bezahlt wird, ist Doris Buirel finanziell besser gestellt als manche angestellte Modistin im Fachgeschäft. Im Schnitt verdienen Hutmacher nach der Ausbildung zwischen 1600 und 2300 Euro brutto. „Selbständig zu sein ist ein hartes Brot“, sagt sie. „Man muss einen guten Standort haben und ein gutes Gespür für Modetrends und vor allem für den Menschen. Oder sich von Auftrag zu Auftrag hangeln.“ Dennoch hätten Modisten heute mehr Entwicklungsmöglichkeiten als früher. Sie könnten nach der Lehre die Meisterprüfung ablegen, Design studieren und von ihren handwerklichen Erfahrungen profitieren. Obwohl Modistin eher ein Nischenberuf ist, glaubt sie an seine Zukunft: „Der Hutmacher wurde schon oft totgesagt – und es gibt ihn noch immer.“