Die alte Bahndirektion an der Heilbronner Straße Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Was tun mit einem riesigen Gebäude, das einem Bahntunnel im Weg steht, aber nicht abgerissen werden darf? Man stellt es auf Stelzen. Genau das passiert derzeit mit der alten Bahndirektion, die förmlich zu schweben scheint. Das Ganze kostet rund 50 Millionen Euro.

Stuttgart - Bagger sind in Stuttgart nichts besonderes. Bagger, die unter einem Haus durchfahren, allerdings schon. Wer’s selbst sehen will, kann das neuerdings von der Jägerstraße aus tun. Fenster im Zaun ermöglichen den direkten Blick auf eine der kompliziertesten Baustellen, die die Stadt zu bieten hat. Und den Blick auf etwas, das man nicht alle Tage sieht: ein 15 000 Tonnen schweres Haus, das in der Luft zu schweben scheint. Unter dem man hindurchschauen kann. Und unter das locker diverse Bagger und Lastwagen passen.

Die alte Bahndirektion zwischen Heilbronner und Jägerstraße steht eigentlich dem Bahnprojekt Stuttgart 21 im Weg. Darunter entsteht die Zufahrt zum neuen Tiefbahnhof. Außerdem liegen bereits Stadtbahntunnel in der Tiefe. Teile des Gebäudes sind längst abgerissen, doch der Rest ist denkmalgeschützt. Gemeinderat und Stadtverwaltung haben entschieden, dass dieser Block, direkt gegenüber dem Hauptbahnhof, stehen bleiben soll. Also mussten die Bauleute ein Verfahren finden, mit dem das Gebäude nicht beschädigt wird, direkt darunter aber Bahntunnel entstehen können.

„Der Aufwand ist sehr groß“, sagt S-21-Abschnittsleiter Michael Pradel. In einem ersten Schritt ist die Bahndirektion im vergangenen Jahr auf Hunderte kleine Baupfähle, im Expertenjargon Spaghettipfähle, gestellt worden. Dann hat man darunter eine etwa zwei Meter Tiefe Grube gegraben, sodass man schon einmal unter dem Gebäude durchschauen konnte. Inzwischen ist dieser Leerraum mit einer gewaltigen Abfangplatte verfüllt. Die Spaghetti sind verschwunden und haben rund 50 großen Bohrpfählen Platz gemacht, auf denen Platte und Haus nun ruhen. Darunter wird jetzt ordentlich Platz geschaffen: Vier Meter tief ist das Loch bereits, zehn sollen es demnächst werden.

Die Kosten betragen 50 Millionen Euro

In die gewaltige offene Grube werden die Bahntunnel gebaut. Anschließend wird die Konstruktion geschlossen und verfüllt, die Bahndirektion steht dann auf den Tunnelbauwerken. „Wie zuvor auf der Erde“, sagt Pradel. Der ganze Aufwand kostet rund 50 Millionen Euro. Ein Abriss mitsamt Einlagerung der Fassade und anderer denkmalgeschützter Teile wäre wohl auf einen einstelligen Millionenbetrag gekommen.

2019 soll die Baustelle fertig sein und das Gebäude an seinen Besitzer, den Stuttgarter Projektentwickler W2, übergeben werden können. Bis dahin darf das Haus keinen Schaden nehmen. Das soll eine engmaschige Überwachung garantieren. Deren Herz steht innen im Gebäude. Was aussieht wie ein großes DJ-Pult, hat nichts mit Musik zu tun, sondern mit hydraulischen Pressen. Über das Steuergerät können so eventuelle Senkungen ausgeglichen werden. Nachjustieren musste man bisher nur einmal. „Es gab Bewegungen, aber die waren alle im Rahmen. Es hat keine Zunahme sichtbarer Risse gegeben“, sagt Pradel. Die einzigen auch von außen auffälligen Schäden sind an Fensterscheiben entstanden – allerdings nicht durch die Bauarbeiten. Sondern durch Steinwürfe vom benachbarten Parkhausdach.

Unter dem Gebäude sind derweil die Bagger am Werk. Auf der einen Seite geht die Sicht in Richtung Weinberge, auf der anderen schaut bereits der Bahnhofsturm herein. Man sieht, wie sich der Verkehr auf der Heilbronner Straße bewegt. Etwa 3000 Quadratmeter misst die gewaltige Abfangplatte über den Köpfen der Arbeiter. Dass 15 000 Tonnen darauf lasten, ruft man sich in diesem Moment besser nicht in Erinnerung. Später einmal werden an genau dieser Stelle Züge in Richtung Feuerbach oder Bad Cannstatt fahren. Und die gut hundert Jahre alte Bahndirektion thront darüber. Ganz ohne Bagger.