Merlin Rose (li.) und Julius Nitschkoff in „Als wir träumten“ Foto: Verleih

Nach der Wende verliert sich eine Generation zwischen den Welten: Die Zeit des Aufbruchs nach 1990 wird zur Zeit der Desillusionierung in dieser Verfilmung des Romans von Clemens Meyer.

Filmkritik und Trailer zum Kinofilm "Als wir träumten"

Andreas Dresen liebt seine Figuren. Er kommt ihnen ungewöhnlich nahe und legt Mechanismen der Selbsttäuschung frei. In „Halbe Treppe“ (2002) leuchtete er Beziehungswirren aus, in „Sommer vorm Balkon“ das ganz normale Chaos im Leben zweier ungleicher Freundinnen, in „Wolke 9“ (2008) leidenschaftliche Liebe unter Senioren. Präzise und hoffnungslos romantisch betrachtet Dresen den alltäglichen Wahnsinn. Er macht sicht- und fühlbar, was Leben bedeutet.

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Das kann schmerzen: Der krebskranke Familienvater in „Halt auf freier Strecke“ (2011) ist den Zuschauern längst ans Herz gewachsen, wenn es mit ihm bergab geht, deshalb bleiben sie bei ihm. Ähnlich verhält es sich nun mit einer Gruppe eingeschworener Freunde in Leipzig kurz nach der Wende in "Als wir träumten".

Ihre prekäre Herkunft steht ihnen im Weg

Eine große Zukunft scheint möglich für den Menschenfreund Dani, den labilen Mark, den talentierten Boxer Rico, den schmerzfreien Pitbull und den Streber Paul. Doch während die Jungs die neue Freiheit feiern, randalieren, trinken, klauen und generell jede Menge Unfug treiben, überholt sie schon die Zeit: Ihre prekäre Herkunft steht ihnen im Weg, Nazis machen sich breit, harte Drogen tauchen auf. In Rückblenden sieht man sie als junge Pioniere in der DDR, als die Verhältnisse noch dröge, aber geordnet waren – nun rasen sie in kaum zu stillendem Lebenshunger ihrer Entgleisung entgegen wie führerlose Züge unter Volldampf.

Die Zeit des Aufbruchs nach 1990 wird zur Zeit der Desillusionierung in dieser Verfilmung des Romans von Clemens Meyer. Eine betrogene, verlorene Generation führt Dresen vor, auf für ihn untypisch harsche Weise sogar explizit gewalttätig: Während des Umbaus von Staat und Polizei gilt im Machtvakuum das Recht des Stärkeren. Nicht einmal für Liebe ist Platz in dieser Tristesse, vergebens umwirbt Dani die hübsche Chaotin Sternchen, der Sicherheit wichtiger ist als Gefühle.

Ein historisches Dokument geschaffen

„Es ist noch nicht viel gemacht worden über diese Generation, die zwischen den Welten jugendlich war, bei der es nicht um Stasi oder Verstrickungen ging“, sagte Dresen bei der Berlinale, wo sein Film im Wettbewerb lief. Tatsächlich hat er ein historisches Dokument geschaffen, das schmerzlich daran erinnert, wie schnell die Freude über Befreiung und Wiedervereinung von der politischen und ökonomischen Kälte des Westens pulverisiert wurde – mit Nachwirkungen bis heute. Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, der schon „Sommer vorm Balkon“ schrieb, formulierte es in Berlin so: „Diese Generation fragt: Was kostet die Welt? Und merkt, dass die Welt schon verkauft ist.“

Unsere Bewertung zu Als wir träumten: 4 von 5 Sternen - empfehlenswert!

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