Recep Erdogan ist als gewählter Präsident noch stärker als zuvor. Foto: dpa

Die türkische Opposition liegt in Trümmern, Straßenproteste gibt es nicht mehr, die Regierungspartei AKP ist auf Linie gebracht. Erdogan ist als erster direkt gewählter Präsident so stark wie nie zuvor. Wer kann ihm jetzt noch Paroli bieten?  

Die türkische Opposition liegt in Trümmern, Straßenproteste gibt es nicht mehr, die Regierungspartei AKP ist auf Linie gebracht. Erdogan ist als erster direkt gewählter Präsident so stark wie nie zuvor. Wer kann ihm jetzt noch Paroli bieten?

Ankara - Seinen Amtseid als Staatspräsident musste Recep Tayyip Erdogan nach der Verfassung auf Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk ablegen. Vor dem Parlament in Ankara schwor er am Donnerstag unter anderem, sich „an die Prinzipien und Reformen Atatürks und die Prinzipien der säkularen Republik“ zu halten. Wie viel Platz für Atatürk und dessen Grundsätze in der von Erdogan proklamierten „neuen Türkei“ bleiben wird, ist noch nicht abzusehen. Klar ist aber, wer die „neue Türkei“ entscheidend prägen will: Erdogan.

13 Jahre führte er die von ihm mitbegründete islamisch-konservative AKP, mehr als elf Jahre lang war er Ministerpräsident. Als erster direkt vom Volk gewählter Staatspräsident ist Erdogan nun auf dem Höhepunkt seiner Macht angelangt. An der Spitze von Partei und Kabinett folgt ihm der bisherige Außenminister Ahmet Davutoglu nach, der keinen Zweifel daran lässt, wer sein „Anführer“ ist und bleiben wird: Natürlich kein anderer als Erdogan.

"Bewusst gegen die Verfassung verstoßen"

Der Vorsitzende der drittgrößten Partei MHP, Devlet Bahceli, nannte Davutoglu einen „Marionetten-Ministerpräsidenten“. Der Chef der größten Oppositionspartei CHP, Kemal Kilicdaroglu, kritisierte, dass Erdogan seine Posten als Partei- und Regierungschef nicht bereits nach seinem Wahlsieg abgegeben hat. „Recep Tayyip Erdogan hat bewusst und willentlich gegen die Verfassung verstoßen“, sagte er. An der Vereidigung nehme er nicht teil, weil er nicht Zeuge werden wolle, wie Erdogan seinen Amtseid auf „Lügen“ ablege. Andere CHP-Abgeordnete verließen vor der Vereidigung demonstrativ den Parlamentssaal.

Doch die markigen Worte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Opposition spätestens seit ihrer Niederlage bei der Präsidentenwahl am 10. August in Trümmern liegt. Erdogan gewann die erste Wahl eines Staatsoberhauptes durch das Volk bereits in der ersten Runde mit einer absoluten Mehrheit. Der Gemeinschaftskandidat von CHP und MHP, Ekmeleddin Ihsanoglu, ist schon jetzt in Vergessenheit geraten. Die CHP zerfleischt sich selbst und hat für kommende Woche einen Sonderparteitag einberufen. Kilicdaroglus Stuhl wackelt.

Erdogan ließ Gegner niederknüppeln

Die außerparlamentarische Opposition ließ Erdogan von der Polizei niederknüppeln, von ihr ist seit Wochen nichts mehr zu sehen. Den letzten Versuch einer regierungsfeindlichen Großdemonstration in Istanbul gab es zum ersten Jahrestag des Beginns der Gezi-Proteste Ende Mai. Die Regierungsgegner sind demoralisiert. Weder Proteste noch Korruptionsvorwürfe brachten Erdogan ernsthaft ins Wanken. Kritik aus dem Westen an seinem zunehmend autoritären Regierungsstil prallte an dem 60-Jährigen ab.

Wie schon nach seinem Wahlsieg richtete Erdogan auch bei seiner Übergabe an Davutoglu bei einem AKP-Sonderparteitag am Mittwoch versöhnende Worte an seine Kritiker. Er reiche seine Hand allen 77 Millionen Türken, sagte er - „ob sie uns lieben oder nicht“. Uneingeschränkt gilt das allerdings nicht: Erdogan und Davutoglu haben beide klargemacht, dass sie die Anhänger des Predigers und Erdogan-Erzfeinds Fethullah Gülen weiter verfolgen werden. Erdogan wirft Gülen vor, den Staat unterwandert zu haben und ihn stürzen zu wollen. Gülen-nahe Zeitungen berichteten, die AKP habe ihnen die Akkreditierung zum Sonderparteitag verweigert gehabt.

Das Oberste Gericht als Gegner

Auch mit der Justiz dürfte der letzte Kampf noch nicht ausgefochten sein - sie ist inzwischen die letzte Bastion, die Erdogan noch wirksam Paroli bieten kann. Noch vor seiner Vereidigung kündigte Erdogan an, einer Justizfeier am kommenden Montag fernzubleiben, sollte dort der Vorsitzende der Rechtsanwaltskammer, Metin Feyzioglu, sprechen. Feyzioglu hatte bei einer Veranstaltung im Mai Kritik an Erdogan geübt - woraufhin dieser aufgebracht aus dem Saal stürmte.

Das Verfassungsgericht hielt nun daran fest, dass Feyzioglu reden darf. Das Oberste Gericht hat Erdogan schon häufiger die Suppe versalzen - etwa mit der Aufhebung der Twitter-Sperre im Frühjahr. Als Präsident allerdings ist Erdogan nun bei künftigen Konflikten mit der Justiz in einer deutlichen stärkeren Rolle als bislang: Nicht nur können Entscheidungen des Präsidenten juristisch nicht einmal vor dem Verfassungsgericht angefochten werden. Erdogan ist künftig auch derjenige, der die Richter am Verfassungsgericht ernennt.