„PacoPepePluto“ heißt das Stück für drei Tänzer, das Alejandro Cerrudo (rechts) mit dem Team von Gauthier Dance einstudiert Foto: Lichtgut/Ines Rudel

Choreografische Kreativität ist das Markenzeichen des Stuttgarter Balletts. Alejandro Cerrudo ist einer von denen, die hier zum Tanzmacher wurden. Heute hat der Spanier als Haus-Choreograf von Hubbard Street Dance in Chicago viel Erfolg. In seine alte Heimat kehrte er zurück, um mit Gauthier Dance eines seiner Stücke einzustudieren.

Stuttgart - Im Sprint hetzt der Tänzer durch die Diagonale. Dann wieder drosseln verrückte Einfälle das Tempo, Wellen durchströmen den Körper von Rosario Guerra, drehen in den Hüften sexy Kreise. Aufmerksam verfolgt Alejandro Cerrudo jeden Schritt, am Ende verteilt der Choreograf viel Lob und nebenbei ein paar Verbesserungsvorschläge.

„PacoPepePluto“ heißt das aus drei Solo-Teilen zusammengesetzte Ballett, das Alejandro Cerrudo gerade mit der Mannschaft von Gauthier Dance einstudiert. Premiere ist im April; doch der Spanier ist im Hauptjob Haus-Choreograf von Hubbard Street Dance in Chicago und hat als solcher viele Termine im Kalender. Nun nutzt er eine Lücke vor Weihnachten, um in der alten Heimat sein Stück einzustudieren. Klar, sagt er, habe er auch das Stuttgarter Ballett besucht. „Die Kompanie hat sich sehr verändert“, meint Alejandro Cerrudo. Immerhin: Ein paar Kollegen von damals, als er selbst Tänzer in Stuttgart war, hat er getroffen, Alicia Amatriain etwa oder Jason Reilly.

Wie viel Zeit seither vergangen ist, sieht man auch an dem, was der Spanier selbst erreicht hat. 1999 war er als 19-Jähriger von der Kompanie Victor Ullate von Madrid nach Stuttgart gekommen. Eine Spielzeit später schon gab er sein Debüt als Choreograf und zeigte beim Noverre-Abend das Duett „Beige and Brown“, das er mit seinen Kollegen Oihane Herrero und Jorge Nozal erarbeitet hatte. Heute ist der 34 Jährige der erste Haus-Choreograf von Hubbard Street Dance Chicago, eine Position, die eigens 2009 für ihn geschaffen wurde.

„Ich will mehr lernen“, sagte der junge Tänzer, als er 1999 nach Stuttgart kam. Neugierde, Lust am Experiment haben Alejandro Cerrudo hier das Choreografieren entdecken lassen und haben ihn weitergetrieben – erst zu den Junioren des Nederlands Dans Theater, weil er unbedingt mit Jirí Kylián arbeiten wollte, dann nach Chicago, um in Amerika Erfahrungen zu sammeln.

Die Lust auf Neues trägt sein Tun bis heute. Nein, sagt er, ein eigener Stil interessiere ihn nicht. „Ich will nicht in eine Schublade gesteckt werden und mache absichtlich sehr unterschiedliche Stücke“, erklärt der Choreograf, der raus aus der Komfortzone will, um Größeres in Angriff zu nehmen. „Meine Arbeit ist ein Prozess des Suchens, den ich jedes Mal mit den Tänzern auf eine neue Weise angehe. Ich möchte aus Fehlern wie aus Erfolgen lernen und nicht nur das wiederholen, was gut ankam.“

Momentan freilich ist Wiederholen angesagt von etwas, das bei der Premiere in Chicago sehr gut ankam. Im Probenraum von Gauthier Dance am Löwentor herrscht eine auffallend angenehme Arbeitsatmosphäre. Und es wundert kaum, dass dieser Wohlfühlfaktor im Studio bewusst zu den Visionen vom Tanz zählt, die dem Spanier wichtig sind. Formulieren musste er sie jüngst, als er für eine Auszeichnung seiner neuen Heimat USA nominiert wurde. „Wer sich wohlfühlt, gibt mehr. Also versuche ich die Tänzer auf eine freundliche Art herauszufordern, denn ich will, dass sie mit mir wachsen“, sagt Alejandro Cerrudo.

Auch am Anfang von „PacoPepePluto“ stand die Lust am Experiment. Wie wirkt ein Männerkörper, wenn er nackt tanzt? Das wollte Alejandro Cerrudo im geschützten Rahmen eines choreografischen Workshops ausprobieren und war dann selbst verblüfft, wie dominant die Blöße war und alles überlagerte. Getanzt wird deshalb in hautfarbenen Slips, geblieben sind in der Choreografie Gesten, die schützen, verbergen.

Als Tänzer kam Alejandro Cerrudo 2005 nach Chicago, kurz darauf stellte er sich auch hier als Choreograf vor. Sein Duett gefiel dem Leiter von Hubbard Street Dance so gut, dass er Alejandro Cerrudo bat, es auszubauen. Zwei Paare kamen dazu; so entstand „Lickety Split“, das auch Gauthier Dance im Repertoire hat. Exakt getimt sind die weich fließenden Bewegungen, die sich einfach entwickeln und fast unversehens so virtuos enden, dass die Begegnung der Tänzer wie magnetisch wirkt, getragen von einem lebendigen Atem.

„Das war das Stück, das mir wirklich das Gefühl gegeben hat, ein Choreograf zu sein“, sagt Alejandro Cerrudo. Rund ein Dutzend Ballette aus seiner Hand hat Hubbard Street Dance inzwischen im Repertoire, darunter das abendfüllende Stück „One Thousand Pieces“, mit dem ihm bei der Premiere 2012 und der Wiederaufnahme im Jahr darauf ein neuer Rekord beim Ticket-Verkauf gelang. Auch dass ihn jüngst die USA mit einem Staatspreis für Kunst geehrt haben, bestärkt den Spanier auf seinem Weg. „Das Preisgeld gibt mir Freiheit im künstlerischen Prozess. Es lässt mich freier atmen, weil der Fokus nun auf der Kunst liegt.“

Nicht stehen bleiben, sich selbst herausfordern und auch das Publikum immer wieder überraschen: das ist es, was sich Alejandro Cerrudo für seine Arbeit wünscht. Nach dem Erfolg in den USA, wo ihn Hubbard Street Dance im Juni 2015 mit einem „Celebration“-Abend feiern wird, hofft der Spanier auf eine stärkere Präsenz in Europa. Das Stuttgarter Ballettnetzwerk hilft ihm dabei, wie die Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Kollegen Eric Gauthier beweist. Doch eigentlich ist das Glück von Alejandro Cerrudo schon perfekt: „ Ich genieße in Chicago eine große Freiheit bei einer Kompanie, die mich wunderbar unterstützt.“

Info

2014 endet gut für Alejandro Cerrudo: Der Haus-Choreograf von Hubbard Street Dance wurde zum United States Artist Fellow gekürt. Neben der wichtigen Auszeichnung für Künstler in den USA freut er sich über ein tolles Preisgeld.

2015 bringt den Spanier zurück nach Madrid, wo er mit der Compañía Nacional de Danza eines seiner Stücke einstudiert. Zudem ist er einer von vier Choreografen, die Whendy Whelan, Solistin des New York City Ballet, um ein Duett für sie und den Abend „Restless Creatures“ bat.

Begonnen hatte Cerrudos Karriere als Tänzer 1998 bei Victor Ullate. 1999 kam er nach Stuttgart, wo er sich 2001 als Choreograf vorstellte. 2002 ging er nach Den Haag, von 2005 an tanzte er in Chicago. Sein Stück „PacoPepePluto“ hat am 30. April 2015 bei Gauthier Dance Premiere.