Foto: © VBK, Wien 2011

Im Reigen der Ausstellungen zum 150. Geburtstag von Gustav Klimt ragt die Albertina hervor.

Wien - Es ist ein Klimt-Feuerwerk, das die Wiener Museen in diesen Wochen zünden. Ob die Schätze um den „Kuss“ im Belvedere oder die Friese im Kunsthistorischen Museum und im Museum für Angewandte Kunst oder die biografische Präzision im Leopold-Museum – das Beste ist gerade gut genug. Wie nun würde die Albertina, als grafische Sammlung seit 1920 Hort der Dokumentation und Erforschung des zeichnerischen Werks des Mitbegründers der Wiener Sezession, reagieren?

Mit Rückendeckung von Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder setzt Marian Bisanz-Prakken, mit den Klimt-Zeichnungen seit 1975 vertraut und seit 1991 als Nachfolgerin von Alice Strobl für die 170 Blätter in der Albertina verantwortlich (insgesamt sind für Klimt 4000 Zeichnungen nachgewiesen), auf Zurückhaltung. Es ist eine Zurückhaltung, die auf Konzentration zielt – und sich der kollegialen Einbettung in das Wiener Klimt-Panorama sehr wohl bewusst ist. Völlig fehl gehen so Anmerkungen, die das Fehlen von Klimt-Gemälden bedauern oder gar die eine, die ganz große Klimt-Sause mit Goldglanz und Eros-Gloria vermissen.

Gustav Klimt in vier Kapiteln in der Albertina

Nicht nur zeigt der Ausstellungsreigen zum 150. Geburtstag des am 14. Juli 1862 geborenen Malers und Zeichners, auf wie vielen Wegen man sich einem künstlerischen Werk nähern kann, sondern er besticht auch in der thesenhaften Konzentration der Einzelpräsentationen. Für Bisanz-Prakken und deren Assistentin Gunhild Bauer heißt diese knapp: die Welt ist eine Linie. Klimts von Alice Strobl dokumentiertes programmatisches Arbeiten in Serien wird für die Besucher der Schau unmittelbar erlebbar. „Gustav Klimt. Die Zeichnungen“ ist die Schau schlicht betitelt – alles andere muss sich aus den Blättern selbst ergeben.

In vier Kapitel (Historismus und früher Symbolismus – 1882 bis 1892, Aufbruch zur „Moderne“ und Secession – 1895 bis 1903, Der Goldene Stil – 1903 bis 1908 und Die Späten Jahre – 1910 bis 1918) haben Marian Bisanz-Prakken und Gunhild Bauer ihre Präsentation aufgeteilt, und von Beginn an zeigt sich ein Widerspruch in Klimts Schaffen. Akademische Präzision und Aufbruch beziehungsweise Ausbruch bilden bis in die knappe Umrisslineatur des allzu frühen Todesjahres 1918 hinein ein ungleiches und sich vielleicht gerade deshalb befeuerndes Dialogpaar.

Klimt-Hauptwerk „Der Kuss“ gibt es als Zeichnung

Das Zeichnen ist Klimt ein Verstehen – der künstlerischen Annäherung an sich, des Wegs zu einer gültigen Form, der überzeugenden Entwicklung der Gemälde wie der Wandarbeiten. So erklärt sich denn auch die ablesbare Konsequenz: Klimt treibt die jeweils zu erreichende Position buchstäblich auf die Spitze. So erkennen wir in dem Hyperrealismus der frühen Porträtstudien bereits jenes Mehr, das sich doch erst in den mit der Secessionszeit verbindenden Blättern alter Männer in eigener Kraft bestätigt. Klimts Szenerien orientieren sich stets ganz und gar am Diesseits, an einer ihn durchaus auch in die Moderne drängenden Realität, und führen doch in eine überzeitliche Geistigkeit.

Folgerichtig findet die Schau denn auch mit der Folge der Studien für die Deckenbilder „Philosophie“, „Medizin“ und „Jurisprudenz“ für die Decke der Universitätsaula ihren ersten Höhepunkt. Faszinierend ist die Umkehrung: In dem Maß wie etwa eine „Sitzende Frau mit aufgestütztem Kopf“ (1897) in aller Gebrechlichkeit gezeigt wird, nehmen wir diese Figur zugleich als Person einer eigenen Welt wahr. Was für eine Anstrengung ist dieses Denken, welche Bedrohung ist der Versuch, sich im Diesseits mit dem Jenseits zu beschäftigen. Die Auftraggeber spüren die Unruhe, die in den Studien so unverblümt deutlich wird, sehr wohl. Die Trilogie wird abgelehnt – Klimt wehrt sich in der einzig möglichen Weise. Freunde helfen beim Rückkauf, und aus dem Verlust wird für den Künstler in der Weiterbearbeitung der Werke ein formaler Gewinn.

Das erotische Sehnsuchtsgegenüber Frau

Die Schau macht klar: In dem souveränen Strich selbst, wie er sich in den Studien für den „Beethovenfries“ (1901/1902) zeigt, gärt es, sammelt sich etwas, glüht etwas. Und noch einmal erweisen sich die Zeichnungen als Feld der Umkehrung der Verhältnisse: In den Studien für die berühmten Klimt-Porträts wie „Adele Bloch-Bauer“ (1907) kann der Künstler gerade in der Annäherung an sein Gegenüber eine Distanz wagen, die das Gemälde ihm nicht mehr erlaubt. Das Ironische im Lächeln der Bankierstochter transportiert ja in der Zeichnung gleichermaßen den Spott der Welt gegenüber wie auch das Wissen darum, dass dieser Spott, diese Distanzierung nicht haltbar ist – weder von der Porträtierten noch von Klimt selbst.

Auch für das im Belvedere verankerte Klimt-Hauptwerk „Der Kuss“ gibt es eine Zeichnung, die in und aus der unbedingten Nähe fast beängstigende Distanz gewinnt – das Blatt „Kniender Mann und sitzende Frau in Umarmung“ (1907). Von dieser Arbeit aus führt ein direkter Weg zu den Studien für das unvollendet gebliebene Gemälde „Die Braut“. Die fotorealistische Realität der frühen Jahre ist in der Annäherung an das erotische Sehnsuchtsgegenüber Frau in ein expressives Liniengewitter überführt. Und die Zeichnung transportiert jenes ablesbare Mehr, das Klimt im Gemälde nur mehr andeuten muss, um als solches wahrgenommen und verstanden zu werden. So erkennt man gerade in der von der Albertina gewählten Konzentration auf die Zeichnung das beständige Ringen zwischen dem Zeichner und dem Maler Gustav Klimt. Es ist ein aus der Linie glühendes, ein großes zeichnerisches Werk.

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