Das blieb von der Demo übrig: Transparente vom Al-Quds-Marsch in Berlin. Foto: dpa

Mitten in Berlin versammeln sich alljährlich Antisemiten – Al-Quds-Marsch unter Auflagen geduldet. Ajatollah Khomeini hatte die Idee dazu.

Berlin - Hassan ist vier Jahre alt, und er ist an diesem Freitagnachmittag ziemlich aufgekratzt. Das liegt vielleicht an dem Ausflug, an der Menschenmenge, durch die er seit gut einer Stunde immer wieder rennt und hüpft. „Freedom for Gaza“ steht auf dem Plakat, das der Junge immer wieder in die Luft hält, mit dem er herumwedelt, das ab und zu mal unsanft auf dem Boden landet. Seine Freunde machen es nicht anders – nur die Texte unterscheiden sich. „Israel respektieren wir nicht“, heißt es zum Beispiel auf dem einen. Oder: „Du kannst nicht schweigen, wenn das Blut deiner Geschwister vergossen wird.“ Oder auch: „Nichts ist antisemitischer als der Zionismus.“ Drumherum stehen Erwachsene – manche beten, andere lachen, Frauen haben sich Palästina-Flaggen an den Hijab geheftet.

Die größte Versammlung von Israelhassern

Wenn man voraussetzt, dass die Meinungsfreiheit eine Menge aushalten muss, dann ist das hier eine ganz normale Szene für diese Republik: In Berlin geht auf dem Kurfürstendamm wie jedes Jahr seit 1996 zum Ende des Ramadan der so genannte Al-Quds-Marsch über die Bühne. Es ist die größte Versammlung von Israelhassern und Antisemiten in Deutschland, knapp 1000 Menschen haben sich diesmal versammelt. Der Ursprung der Quds-Märsche liegt in einem Aufruf des ehemaligen iranischen Ajatollah Khomeini von 1979 zur Vernichtung Israels und Rückeroberung Jerusalems.

Bilder des Ajatollah werden in Berlin wie Starschnitte in die Höhe gehoben. Die Demonstranten kommen aus ganz Deutschland. Hassan zum Beispiel ist von seiner Familie aus Hamburg hergebracht worden. Eine große Gruppe von Anhängern des dortigen Islamischen Zentrums Hamburg zeigt in Berlin Präsenz. Familien stellen sich zu Erinnerungsfotos mit Palästina-Flagge und Transparenten auf, man knipst einander gegenseitig mit Palästinensertuch. Zu einem politischen Gebet versammeln sich ein knappes Dutzend Männer um den Vorbeter Hamidreza Torabi, der von Kritikern als glühender Israelhasser beschrieben wird.

Das Ziel sei die Vernichtung Israels, sagt ein Experte

„Das erklärte und formulierte Ziel dieser Versammlung ist ganz klar die Vernichtung Israels und die Zurückeroberung Jerusalems“, sagt Benjamin Steinitz von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS). „Natürlich wird das heute oft verschlüsselt formuliert, die meisten Redner sprechen stattdessen über die Menschenrechtsverletzungen, die Israel aus ihrer Sicht begeht. Israel und der Zionismus als angebliche Bedrohung des Weltfriedens dienen als Projektionsfläche.“

Menschen sitzen in Cafés und hören einem Vorbeter oder ungerührt einem Redner zu, der Israel vorwirft, einen Opferstatus zu zelebrieren. Andere machen ihren Wochenendeneinkauf. Der Teil der Zivilgesellschaft, der gegen den Israelhass mitten in der Hauptstand protestiert, ist klein. Kaum 200 Menschen haben sich ein paar Ecken weiter zu einer Gegendemonstration eines bürgerlichen Bündnisses versammelt – immerhin die Rednerliste ist prominent: Berlins Innensenator Andreas Geisel verweist zwar aufs Recht der Versammlungsfreiheit, aber er sagt auch, wo für ihn die Grenzen liegen: „Erstens: Das Existenzrecht Israels ist für uns nicht verhandelbar. Zweitens: Antisemitismus hat in Deutschland keinen Platz, vollkommen egal aus welcher gesellschaftlichen Gruppierung.“ Zum ersten Mal weht am Freitag vor dem Rathaus Charlottenburg die Flagge Israels – aus Solidarität.

Einmal kam es zu Mordaufrufen gegen Juden

In den vergangene Jahren gab es heftige antisemitische Vorfälle und auch Übergriffe. Nach der Veranstaltung 2014 wurde zum Mord an Juden aufgerufen, Personen mit Israelflaggen am Rande wurden mehrfach angegriffen. 2015 rief ein jemenitischer Redner auf arabisch: Tod den Juden, Sieg für den Islam. Inzwischen hat die Polizei strenge Auflagen erlassen – dazu gehören das Verbot von Flaggen der terroristischen palästinensischen Hisbollah-Organisation sowie das Verbot etlicher Aussagen wie zum Beispiel „Tod Israel“ oder „Tod den Juden“.

Unterbunden werden solche Aussagen trotzdem nicht. „Ruft nicht Kindermörder Israel“, sagt ein Redner vom Podium. „Auch wenn es stimmt.“ Steinitz’ Organisation beobachtet die Demo seit 2013 systematisch. „Dabei stellen wir fest, dass sämtliche Muster antisemitischer Schmähungen bedient werden – dazu gehören antisemitische Bilder, Verschwörungstheorien oder Behauptungen wie die, wonach Juden die Medien kontrollierten.“

Die Zivilgesellschaft reagiert gleichgültig

Warum reagiert die Zivilgesellschaft so gleichgültig? Warum bleibt die Empörung aus, wenn mitten in Deutschland, so wie zum Beispiel im Sommer 2014 während der Gaza-Krise Parolen wie „Juden ins Gas“ und „Tod den Juden“ gerufen werden? „Meiner Einschätzung nach liegt der Grund für dieses Schweigen darin, dass dieser Antisemitismus nicht von rechtsextremistischen Gruppierungen artikuliert wird“, sagt Steinitz. „Auf Antisemitismus aus Gruppierungen, die sich auf ihre religiöse Identität oder Konflikte im Ausland berufen hat die Zivilgesellschaft noch keine Antwort gefunden. Damit gibt es keinen Umgang.“