Die B14 durchschneidet mit zehn Fahrspuren die Stadtmitte. Foto: StN

An diesem Sonntag wird die Bundesstraße 14 im Stadtzentrum auf 1,2 Kilometern für den Verkehr gesperrt – als Aktion zur Stadterneuerung. Und dann? Stuttgarts Mitte mit seinen herausragenden kulturellen Einrichtungen muss weiter gedacht werden, fordert Nikolai B. Forstbauer.

Stuttgart - Feinstaub-Hauptstadt will Stuttgart nicht sein. Baustellenmüde ist man auch. Aufheiterung kann da nicht schaden. Und wenn dann noch ein bisschen Nervenkitzel dabei wäre . . . dann ist das Programm zur Stadterneuerung fast fertig. „Aktivisten und Artisten“ heißt es auf Plakaten in der Stadt – geworben wird für den freien Spaziergang auf der Bundesstraße 14 an diesem Sonntag. 17. 9. – dieses Datum wird fast zur Mahnung.

Die B 14 führt mitten durch die Stadt und verstärkt seit den frühen 60er Jahren die Zerstörung der Nord-Süd-Achsen in Stuttgart. Als Stadtautobahn schiebt sie sich rüde durch das (mögliche) Zentrum. Es gibt also allen Grund, diesen Straßenunzustand beenden zu wollen. Anläufe gibt es schon seit den 1970er Jahren, immer wieder auch Planungen – vor allem dafür, die Straße verschwinden zu lassen. Doch für neue Tunnel sind in Stuttgart keine Mehrheiten mehr zu organisieren.

Hochseilartisten über der B14

Und nun das: Die Straße wird zur Aktionsbühne. Von 11 Uhr bis um 14 Uhr wird die B 14 an diesem Sonntag für den Autoverkehr gesperrt. „Ein Traum wird wahr“, heißt es prompt aus den Reihen der Veranstalter. Wesentlich der Verein Aufbruch Stuttgart steht hinter der von Stadt und Land mitgetragenen Aktion. Deren Haken: Sie gilt einer Linie, die in der Realität längst einem weit ausgreifenden (Kulturquartier-)Geviert zwischen dem Institut für Auslandsbeziehungen am Charlottenplatz, dem Landesmuseum im Alten Schloss, dem Kunstmuseum am Schlossplatz, der Bolzstraße als Filmfestivalbühne, dem Staatstheater-Areal und der Staatsgalerie Stuttgart gewichen ist.

Hochseilartisten der berühmten Traber-Familie werden am Sonntag die Konrad-Adenauer-Straße hoch über den Köpfen der Flaneure überqueren. Ein Sinnbild – natürlich. Aber auch ein Trugbild. Wer weit ausgreifende Umfahrungen der Innenstadt nicht will, wer schweigend akzeptiert, dass immer mehr Ost-West-Verkehr weitere Straßen in Stuttgart in Schneisen verwandelt, kann kaum im Rausch des Aufbruchs schwelgen.

Stuttgart macht die Stadtautobahn für einen Vormittag zur Bürgerbühne. Davon lässt sich erzählen. Und was kommt danach? Fehlt nicht die der Linie B14 geltende Energie in der Auseinandersetzung etwa um die städtebauliche Neuordnung des Staatstheater-Areals? Diese steht ja hinter dem viel zu kleinen Wort von der Sanierung des Opernhauses Stuttgart. Wer trägt diese für Generationen zukunftsweisende Neuordnung mit Um- und Neubauten, wer sichert sie meinungs- und (wenn notwendig) finanzstark gegen voreilige Abstriche? Über solche Fragestellungen kommt man, ganz ohne Flaneur-Feiertag, unausweichlich zur Diskussion über Straßen- und Stadträume – bis hin zur Frage eines neuen Miteinanders von Wohnen und Gewerbe als mögliches Thema der für 2027 geplanten Internationalen Bauaustellung.

Stuttgarts Mitte muss weiter gedacht werden

Und: Wer jetzt die Linie B14 zur zentralen Arena der Debatte macht, verkennt, was sich zwischen Hauptstätter Straße und Tübinger Straße entwickelt hat und was dieses privatwirtschaftliche städtebauliche Engagement weiter bewegt. Der verkennt, dass Stuttgarts Mitte mit seinen herausragenden kulturellen Einrichtungen weiter gedacht werden muss – bis hin zu möglichen Neubauten auf den Entwicklungsflächen von Stuttgart 21.

An diesem Sonntag sind die Gaukler in der Stadt. Das verspricht heitere Stunden. Mitreißend wäre, wenn die Artisten nicht das Bekannte illustrierten, sondern ihre Seile kreuz und quer in der Stadt spannten. Stuttgart real vernetzt – das wäre ein großes Fest.

nikolai.forstbauer@stuttgarter-nachrichten.de