Erzeugt seit 2010 seinen Strom selbst, versorgt zwei E-Autos und gibt Überschussenergie ins Netz: Das Plus-Energie-Haus in der Berghalde in Warmbronn Foto: Peter-Michael Petsch

Vor zwei Wochen hat der Ingenieur Werner Sobek auf dem Killesberg das „weltweit erste Aktivhaus“ eröffnet. Es soll „Keimzelle für eine Revolution im Bauwesen“ sein, weil es ein Nachbarhaus mitversorgt. Nun regt sich harsche Kritik. Die versprochenen 100 Prozent Energieüberschuss seien „trivial“.

Vor zwei Wochen hat der Ingenieur Werner Sobek auf dem Killesberg das „weltweit erste Aktivhaus“ eröffnet. Es soll „Keimzelle für eine Revolution im Bauwesen“ sein, weil es ein Nachbarhaus mitversorgt. Nun regt sich harsche Kritik. Die versprochenen 100 Prozent Energieüberschuss seien „trivial“.

Stuttgart - Im Bruckmannweg 10 steht das „weltweit erste Aktivhaus“. Der Ort ist gut gewählt. Der nur 85 Quadratmeter große Flachbau mit weißer Fassade passt perfekt zur nahen Weissenhofsiedlung. Auf dem Dach trägt das Fertighaus (Struktur vom Spezialisten Schwörer) wassergekühlte Fotovoltaikelemente. Sie erzeugen doppelt so viel Strom, wie das Haus selbst braucht.

Mit dem Überschuss werden zwei Elektro-Smart und das benachbarte Weissenhofmuseum versorgt, hieß es zur Eröffnung. „Neue Häuser sollen alte mitversorgen können, wir nennen dies das Prinzip der Schwesterlichkeit“, hatte der Stuttgarter Ingenieur Professor Werner Sobek seinen Denkansatz zusammengefasst.

Für Sobek und sein Projekt, das er in China und Argentinien in Großserie umsetzen will, gab es prominenten Beifall von EU-Kommissar Günther Oettinger, den Staatssekretären Rainer Bomba (Bund, CDU) und Jürgen Walter (Land, Grüne), OB Fritz Kuhn (Grüne) und Alt-OB Wolfgang Schuster .

Nun aber gibt es harsche Kritik. Sobeks Ansatz, sagt der Ingenieur Professor Norbert Fisch, sei „nicht neu“, die versprochene solare Überschussenergie sogar vergleichsweise einfach erreichbar: „100 Prozent Energieüberschuss sind trivial für einen Ingenieur, wenn das Haus nur ein Stockwerk hat und Dach- und Wohnfläche gleich groß sind“, sagt Fisch. Er lehrt am Institut für Gebäude- und Solartechnik der TU Braunschweig und plant als Geschäftsführer von EGS Plan (Stuttgart) Wohn- und Bürogebäude, die ihren Energiebedarf aus Solarenergie direkt decken. Der Überschuss fließt ins lokale Stromnetz. Fischs Team hat etliche derartige Gebäude realisiert und im 2012 erschienenen Buch „EnergiePLUS“ beschrieben.

Fisch hat 2010 in Warmbronn bei Leonberg ein großes Einfamilienhaus gebaut, in dem eine vierköpfige Familie wohnt. „Es hat alles, was das Haus auf dem Killesberg auch hat, der Systemansatz ist absolut identisch“, sagt Fisch. Hier finden sich Fotovoltaikzellen auf dem Dach, Wärmepumpe, Erdwärmesonden, Wärmespeicher, zwei Batterien zur Steigerung der Eigenstromnutzung und eine intelligente, frei programmierbare Gebäudeleittechnik. Norbert Fischs Hanghaus bietet auf drei Stockwerken 267 Quadratmeter Wohnfläche.

„Das Haus ist Kraftwerk und Tankstelle“, sagt Fisch und nennt Fakten: Aktuell werden zwei E-Autos (BMW, Fiat) betankt, der Überschussstrom fließt ins Netz. Nach rund vier Betriebsjahren seien 20 000 der erzeugten 70 000 Kilowattstunden abgegeben worden. „Das reicht, um eine weitere Familie mit Haushaltsstrom zu versorgen“, so Fisch.

Auf dem Killesberg sollen laut Sobeks Mitarbeiter Frank Heinlein jährlich 2000 Kilowattstunden an die benachbarte „Schwester“, das Weissenhofmuseum, gereicht werden. Heinlein ist Geschäftsführer der Stiftung Stuttgart Institute of Sustainability (SIS), die als Bauherr auftritt. SIS erhielt das Grundstück für einige Jahre kostenfrei von der Stadt.

Die von Sobek propagierte „Schwesterlichkeit“ hält Fisch für einen „Werbegag“: „Der Strom fließt vom Haus ins Netz, dorthin, wo er gebraucht wird, das kann überall sein, nah oder fern! So werden solche Häuser Teil der dezentralen Energieerzeugung.“

Tatsächlich fließt der Strom von Sobeks Aktivhaus gar nicht direkt ins Weissenhofmuseum. „Es gibt keine Leitung, es wird über eine Kamera nur dauernd unser Stromzähler abgelesen“, sagt Museumsleiterin Anja Krämer. Der Computer im Aktivhaus erfahre den Strombedarf und errechne, ob er hätte gedeckt werden können.

Der Energieexperte Fisch setzt in Warmbronn auf eine abgestimmte Kombination gängiger und neuer Technikkomponenten. Die erkennt er auch beim Kollegen Sobek auf dem Killesberg. Um den Standard seines Energie-Plus-Hauses zu erreichen, müsse man pro Quadratmeter Wohnfläche mit 200 bis 250 Euro Mehraufwand rechnen, sagt Fisch. Die Mehrkosten würden sich nach rund zwölf Jahren über Erträge aus der Solarstrom-Abgabe rechnen.

Das Haus auf dem Killesberg wird laut Heinlein mit mehr als zwei Millionen Euro gefördert werden. Das Geld kommt vom Bund für das „Schaufenster Elektromobilität“. Es wird ausschließlich in die Entwicklung eines selbstlernenden Gebäudeautomationssystems gesteckt. Es soll mit Wetterdienste-Daten vorausschauendes Energiemanagement betreiben. Komfortextras gibt es auch: Licht und Heizung gehen an, wenn sich die Bewohner im Smart nähern.

Auch Fisch hat nach der Fertigstellung Förderung erhalten. Das Bundesbauministerium zahlte für vier Jahre Monitoring und die Entwicklung einer intelligenten Gebäudeautomation rund 300 000 Euro. Die Ergebnisse bestätigen das von Fisch entwickelte Stromhaus-Konzept. Es wird in Mehrfamilienhäusern und Siedlungen umgesetzt, auch im Rosensteinviertel. Fisch rät, den Nutzen elektronischer Helfer nicht zu hoch zu bewerten. Die Erfahrung lehre, dass in der Automation Fehlerquellen lägen – und der Mensch nicht entmündigt werden wolle. Fisch: „Klassische Schalter und Fenster zum Öffnen sollten immer vorhanden sein.“

Frank Heinlein findet Diskussionen über die Einmaligkeit des Aktivhauses auf dem Killesberg generell „ermüdend“. Die im Bruckmannweg gezeigte Kombination sei „hoch effizient und sieht gut aus“. Wenn das Haus nichts Neues sei, so Heinlein, „warum hat das dann auf so kleinem Grundriss keiner gemacht?“ Die Größe sei nicht neu, sagt Fisch. Die TU Darmstadt habe 2007 und 2009 in Washington D. C. „mit zwei Mini-Aktivhäusern den Studentenwettbewerb Solar Decathlon gewonnen“.

In Städten gehe es längt darum, mehrgeschossige Häuser regenerativ zu versorgen. Die eigentliche Herausforderung beginne ab dem vierten Geschoss, mit Fotovoltaik-Fassade seien sechs bis sieben Geschosse möglich, sagt Fisch. „Das Thema Einfamilienhäuser in der Stadt geht an den Herausforderungen der Zukunft vorbei“, so Fisch. „Stuttgart hätte es gut angestanden, ein großes Sanierungsprojekt im Kontext Energieplus zu fördern“, bilanziert er.