Gemeinsames Vespern für mehr Offenheit Foto: Lichtgut/Julian Rettig

An zehn Tafeln haben Stuttgarter am Samstag für eine Offene Gesellschaft gespeist. Auslöser für sein Engagement sei der Umschwung in der Willkommenskultur vor zwei Jahren gewesen, erzählt ein Organisator.

Stuttgart - Das Programm für den Spaziergang der Initiative Offene Gesellschaft im Schlossgarten war vielleicht etwas zu ambitioniert. Auf den wenigen Kilometern zwischen Schauspielhaus und Schauspiel Nord warteten knapp 20 Stationen mit Informationen, Schauspiel, Musik und Tanz auf die Wandergruppe mit einigen Hundert Teilnehmern. „Bitte zügig weitergehen, das Picknick wird kalt“, hieß es mehrfach. Schließlich sollte anschließend am Schauspiel Nord noch gemeinsam für mehr Offenheit gevespert werden.

Das Buffet dort war eine von zehn Stuttgarter Tafeln im Rahmen der bundesweiten Aktion der Offenen Gesellschaft, die Ende Mai in Stuttgart bereits mit einem Autokorso für das Grundgesetz von sich reden gemacht hat. Einige der Essensrunden waren privat organisiert, andere von Initiativen. Insgesamt gab es in Deutschland mehr als 450 Tafeln. Ziel war es, einzuladen, ins Gespräch zu kommen, sich kennenzulernen, und zwar ohne Blick auf Herkunft, Bildung oder Geschlecht.

Initiatoren sollen schweigender Mehrheit Stimme geben

Bis der Picknickplatz erreicht war, machten die Initiativen und Kulturschaffenden im Schlossgarten kreativ auf ihre Botschaft aufmerksam – sei es mit einer Art Kofferballett, einem kurzen Theaterstück, mit Musik aus fernen Ländern oder mit Thesen und Flyern.

Die Offene Gesellschaft gehört zu einer neuen Kundgebungsbewegung von bewussten Ja-Sagern. Demonstriert wird hier nicht mehr gegen, sondern für etwas, sei es die Wissenschaft, Demokratie, Europa oder eben Offenheit. Botschafter Marcel Roth von der Offenen Gesellschaft ist überzeugt: „Es ist eine Chance, das Dafür in den Vordergrund zu stellen. Und es funktioniert. Ich bekomme viel positives Feedback. Die Leute sind motiviert“, erklärt der 24-Jährige. Vorher habe er den Eindruck gehabt, die Menschen seien nach den großen Protesten, etwa zum Bahnprojekt Stuttgart 21, etwas gesättigt gewesen. Sie wollten der „schweigenden Mehrheit“ eine Stimme geben, weil sonst nur die „schreienden Minderheiten“ gehört würden.

Pulse of Europe will sich positionieren

Auslöser für sein Engagement sei der Umschwung in der Willkommenskultur vor zwei Jahren gewesen, erzählt der studierte Sozialwissenschaftler und spricht von Crisitunity – einem Kunstwort aus Crisis (Krise) und Opportunity (Möglichkeit). „Ich glaube, dass aus jeder Krise etwas Besseres hervorgeht, wenn man sie selbst nutzt.“ Ihr positiver Ansatz sei nicht gleichbedeutend mit Inhaltsleere und Schönfärberei. „Es braucht auch Forderungen.“ So gibt es zehn Thesen, etwa für Demokratie, Gemeinwohl und Offenheit.

Ähnlich wie Marcel Roth denken auch Johannes Pudenz und Tanja Zöllner von Pulse of Europe, einer Bewegung für die Zukunft Europas „Es ist uns ein Herzensanliegen, weil wir gespürt haben, dass man etwas tun muss. Wir wollen die Politik antreiben“, sagt der 35-jährige Pudenz. In den Wahlprogrammen der Parteien spiele Europa kaum eine Rolle. Die Initiative arbeite gerade daran, sich politisch zu positionieren, erklärt seine gleichaltrige Mitstreiterin. „Es soll kein Weiter-so sein. Die EU muss sich auch verändern.“ Nichtstun sei angesichts der aktuellen Entwicklungen wie dem bevorstehenden Austritt Großbritanniens keine Lösung. Eines ist beiden wichtig: „Wir sind alle keine Experten“, sagt er. „Nur Normalos“, ergänzt sie. „Die sich engagieren wollen“, fährt er fort, bevor sie abschließt: „Die schweigende Mehrheit, die positiv fordert.“