Gegenspiele Foto: Künstlerhaus

Die Akademie Schloss Solitude und das Künstlerhaus Stuttgart – zwei Orte der Kunst, die getrennte Wege gehen? Nicht notwendigerweise, finden Jean-Baptiste Joly, Direktor der Akademie, und Adnan Yildiz, künstlerischer Leiter des ebenfalls international orientierten Künstlerhauses.

Stuttgart - Vereinzelte Berührungspunkte gab es immer wieder, in der parallelen Geschichte beider Häuser. Erstmals jedoch kam es nun zu einer entschiedenen Kooperation, Joly und Yildiz ergriffen die Initiative. Entstanden ist so „Future Scenarios with an Open End“, eine Ausstellung an zwei Orten, begleitet von mehreren Veranstaltungen, die das Selbstverständnis, die künstlerischen Strategien der Akademie und des Künstlerhauses Stuttgart (Reuchlinstraße 4b) selbst thematisiert – „Forschung mit offenem Ende und Ausstellungsexperiment“.

Seit Beginn des Jahres stehen Künstlerhaus und Akademie im Dialog. In der vergangenen Woche eröffneten sie Ausstellungen, die von Künstlern beider Häuser unabhängig gestaltet wurden, sich jedoch auch auf dieses Zwiegespräch beziehen lassen.

Die eigentliche Schnittfläche zwischen den beiden Orten der Kunst entstand auf Solitude. Dort gibt es ein Kabinett, einen kleinen Raum, in dem nun viele Dinge zu sehen sind: Objekte, Broschüren, Drucke, Plakate, Fotografien, Artefakte künstlerischer Projekte und Aktionen.

Spuren, die an die Arbeit ehemaliger Stipendiaten erinnern, Fußnoten zur Geschichte der Akademie – so bezeichnen Joly und Yildiz die Exponate, die mehrere Vitrinen füllen, Wände bedecken. Erarbeitet wurde die Ausstellung von Marwa Arsanios (Beirut), Marina Fokidis (Athen) und Alina Serban (Bukarest), die als Kooperationsstipendiaten des Künstlerhauses zwei Monate auf Solitude lebten und arbeiteten. Sie entwickelten, als Gäste, aus dem Archiv der Akademie heraus ein Porträt ihrer Gastgeberin: Eine kleine Sammlung von Solitude-Momenten. Immer wieder taucht zwischen diesen Exponaten die Fassade des Rokokoschlösschens auf der Höhe über dem Stuttgarter Westen auf – als Bild im „Gucki“ beispielsweise, im Souvenir-Klickfernseher aus den 1960er Jahren.

Über ein eigenes Archiv, auf das im Gegenzug ein solcher Zugriff von Solitude-Stipendiaten möglich gewesen wäre, verfügt das Künstlerhaus nicht. „Wir haben keine Sammlung“, sagt Adnan Yildiz. Die Ausstellung im Kabinett der Akademie Solitude bildet nun also, noch bis zum 14. Dezember, den Angelpunkt für eine Reihe einzelner Ausstellungen beider Häuser, die isoliert betrachtet oder in ihren Wechselwirkungen als Andeutungen einer Perspektive zukünftiger Kooperation gelesen werden können. Yildiz spricht, wenn er an Solitude und das Künstlerhaus denkt, gerne von „Parallel Lines“, von parallelen Linien, die sich schneiden, im Unendlichen. Entsprechungen zwischen den Arbeitsweisen und den Themen der beiden Häuser lassen sich unschwer ausmachen.

Zeitgleich mit der Ausstellung, die einen vom Künstlerhaus arrangierten Blick in das eigene Archiv präsentiert, eröffneten auf Solitude Ausstellungen von Nida Sinnokrot und Joshua Edwards. Edwards unternahm eine 40-tägige Wanderung von seinem Geburtsort Galveston Island vor der texanischen Grenze zur Wüstenstadt Marfa im Inneren des US-amerikanischen Bundesstaats. Während seiner Reise nahm er in regelmäßigen Abständen Fotografien auf, die nun die Wände eines langgestreckten Gangs im Schloss Solitude säumen – ein fotografisches Roadmovie, ergänzt durch die Gedichte des Künstlers, zweisprachig herausgegeben in der Edition Solitude.

Im Anschluss an die Eröffnung der Ausstellung las Edwards aus diesen Texten – „Architecture for Travellers“. Den harschen Gegensatz zu diesem Blick auf eine lange, ruhige Reise bildet die Installation „As in those brief Moments“ von Nida Sinnokrot, eine Arbeit, die aus einer Kooperation der Akademie Schloss Solitude und der Merz Akademie hervorging. Sinnokrot versetzt die Betrachter seines Werks in den Moment eines Bombenabwurfs, der ein Haus vollständig zerstört – modifizierte Projektionen und aggressive Klangkulisse spalten den infernalischen Augenblick in einer unendlichen Zeitschleife auf.

Die Entsprechungen zu diesen Arbeiten im Künstlerhaus: ausgewählte Arbeiten von Kaspar Akhøj und Tamar Guimarães, Marwa Arsanios und Ion Grigorescu – Arbeiten, die vorgefundenes Filmmaterial in den Kontext von Installationen überführen oder die Produktionsbedingungen von Büchern hinterfragen. Das Künstlerhaus zeigt Auszüge aus bisher unveröffentlichten Arbeiten von Yorgos Sapountzis und dem Solitude-Stipendiaten Samir Harb. „Even my Mum can make a Book“ war ein Workshop betitelt, der sich an den „Artist Talk“ am Freitagnachmittag im Künstlerhaus anschloss und mit dem die Eröffnungstage der Ausstellung an doppeltem Ort endeten: Arbeit in einem anderen Archiv, dem Internet, in dem die Künstler zahlreiche Beispiele für Kunstbücher fanden.

Für Adnan Yildiz ist „Future Scenarios with an Open End“ die letzte Ausstellung, die er als Kurator im Künstlerhaus Stuttgart betreut – es ist ein Abschied, der ihm nicht leichtfällt. Zum Gespräch der Künstler am Freitagnachmittag kam Jean-Baptiste Joly ins Künstlerhaus, um dort die Möglichkeiten künftiger Kooperation zu diskutieren – eine Situation, in der schließlich auch die sehr unterschiedlichen Voraussetzungen deutlich wurden, unter denen beide Institutionen arbeiten: die Akademie als Stiftung öffentlichen Rechts, das Künstlerhaus als eine Initiative, die in den 1970er Jahren vor einem marxistischen Hintergrund entstand.

Und – Joly misst der Ausstellung „Future Scenarios with an Open End“ und den vielfältigen Bezügen zwischen Akademie und Künstlerhaus, die sie aufzeigt, einige Bedeutung bei. „Nicht individueller Werke halber“, sagt er, „sondern als Möglichkeit einer Strategie der Zukunft.“