Zwei Schüler prügeln sich auf dem Schulhof – längst nicht der Normalfall, aber die Gewaltfälle nehmen wieder zu Foto: dpa

Gewalt und Mobbing, missbräuchliche Handynutzung, immer mehr Schüler, die ohne Regeln in die Schulen kommen: Es gibt viele dunkle Wolken an den Stuttgarter Schulen – doch von Krisenstimmung kann keine Rede sein.

Stuttgart - Der traurige Trend zeigt nach oben. Bereits Ende November 2014 registrierte die Polizei knapp 80 Fälle von Schulgewalt in Stuttgart. Zum Vergleich: Im Jahr 2013 wurden in der Kriminalstatistik der Polizei 61 Fälle unter diese Rubrik erfasst, im Jahr davor waren es ähnlich viele.

Eine deutliche Steigerung, die Polizeisprecher Thomas Geiger aber nicht beunruhigt. „Alles bewegt sich auf relativ geringem Niveau, wir haben hier oft Schwankungen, das ist aber kein Grund zur Sorge.“ Die Zahl der Straftaten an Schulen dürfte wohl eher auf das Niveau vom Jahr 2010 gestiegen sein. Damals wurden 92 Gewaltstraftaten an Schulen zur Anzeige gebracht. Die endgültige Jahresbilanz für 2014 liegt noch nicht vor.

"Nicht jede Ohrfeige wird gleich der Polizei gemeldet"

Bedenken muss man hier aber: Die Dunkelziffer wird als weitaus höher eingeschätzt. Zum einen, weil Fälle von Sachbeschädigung nicht erfasst werden, zum anderen, weil anzunehmen ist, dass nicht jedes strafrechtlich relevante Fehlverhalten von Schülern zur Anzeige gebracht wird. „Nicht jede Ohrfeige wird gleich der Polizei gemeldet, auch wenn sich zwei Schüler raufen, bekommen wir das oft nicht mit. Deswegen gehen wir von einem recht hohen Dunkelfeld aus“, sagt Polizeisprecher Geiger.

Alarmstimmung also an den Schulen? Nein, durchaus nicht, erklären Fred Binder, geschäftsführender Schulleiter der Stuttgarter Realschulen, und Barbara Graf, die geschäftsführende Schulleiterin der Gymnasien. Letztere ist seit 14 Jahren Rektorin des Hegel-Gymnasiums, und sie kennt sich bestens aus mit den Fehltritten ihrer Schüler. Von prügelnden Klassenkameraden in der Pause bis hin zu Mobbing über Gruppenchats im Internet.

Von juristischer Seite aus ist vorgesorgt. Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen werden vom Landes-Schulgesetz geregelt. Paragraf 90 listet auf, wie eine Schule vorgehen kann, wenn Schüler bestraft werden müssen. Von mehreren Stunden Nachsitzen über einen zeitweiligen Unterrichtsausschluss bis zu vier Wochen bis hin zu einem Schulausschluss reicht der Strafenkatalog.

Bei Drogen gibt es harte Konsequenzen

„Wir schauen uns die Fälle genau an und versuchen nach pädagogischen Gesichtspunkten abzuwägen. Zu Extremfällen kommt es sehr selten“, sagt Schulleiterin Graf. „Wenn aber jemand an der Schule mit Drogen handelt, kann er sofort und ohne vorherige Vorfälle ausgeschlossen werden“, erklärt sie. Man müsse den Kindern klar machen, dass die Schule reagiert und das Fehlverhalten nicht billigend in Kauf nimmt. „Zu 95 Prozent sehen die Schüler ein, dass sie die Konsequenzen für ihren Fehler tragen müssen“, sagt Fred Binder, Schulleiter der Vaihinger Robert-Koch-Realschule.

Eine andere Baustelle sind aber die Eltern. Die werden empfindlicher, gerade was die Maßregelung ihrer Kinder betrifft. Das wird auch von den Stuttgarter Schulen bestätigt. Bundesweit kommt es zuweilen zu gerichtlichen Klagen von Eltern, in Stuttgart kann sich aber niemand an einen derartigen Fall erinnern. „Ab und zu passiert es, dass mit juristischem Einspruch gedroht wird, aber so lange ich hier bin, hat noch niemand wirklich gegen eine Maßnahme geklagt“, sagt Rektorin Graf. Da kann auch Fred Binder einstimmen: „Das ist nicht sonderlich weit verbreitet. Die Beschwerden kommen immer auch nur von bestimmten Eltern.“

Dem Staatlichen Schulamt ist eine gerichtliche Klage gegen Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen seit mindestens einem Jahrzehnt nicht mehr begegnet. „Zu uns kommen die Eltern, um sich über die Arbeit der Schulen zu beschweren, zu einem Verwaltungsgerichtsverfahren ist es allerdings nie gekommen“, sagt die Schulamts-Leiterin Ulrike Brittinger. Auch die Zahl der Beschwerdefälle sei gefühlt kleiner geworden, so Brittinger. „Das zeigt, dass sich die Schulen Mühe geben, die Dinge an Ort und Stelle gemeinsam zu klären.“

"Oft gab es keine Erziehung"

Wie viele Zwischenfälle es jährlich an Stuttgarter Schulen gibt, die zu Ordnungsmaßnahmen führen, ist nicht registriert. Ein gesellschaftlicher Wandel bereitet aber zunehmend Probleme – da sind Graf und Binder einer Meinung. „Die Zahl der Schüler, die quasi regelfrei in die Schulen kommen, nimmt leider zu. Oft gab es keine Erziehung, die vorsieht, dass die Erwachsenen die Regeln aufstellen“, weiß Graf zu berichten.

Gerade hier hätten Konflikte schwerwiegende Auswirkungen. „So eine mangelhafte Erziehung kann zur Folge haben, dass die Kinder bereit sind, ihre Interessen in stärkerem Maße körperlich durchzusetzen.“ Auch Realschulleiter Fred Binder weiß von diesen Tendenzen. „Ich würde sagen, bei etwa 80 Prozent läuft alles normal, aber die Zahl derer, die daheim Probleme haben, hat zugenommen“, sagt er.

Allerdings sei eine Schule „keine Reparaturwerkstatt“. Deshalb ist dem Vaihinger Schulleiter Kommunikation wichtig, neben Strafen seien auch Hilfen nötig. Zwischen Vorfall und Strafmaßnahme müsse ein Zusammenhang bestehen. „Wer gegen die Gemeinschaft gehandelt hat, muss dann für die Gemeinschaft arbeiten“, so Binder.

Schwere Ordnungsmaßnahmen nach Paragraf 90 Landes-Schulgesetz sind nach Angaben von Schulamtsleiterin Brittinger. seltener geworden. „Das geht tendenziell zurück, die Schulen zielen eher auf pädagogische Hilfe ab und unternehmen viel im Bereich Prävention“, sagt sie. Landesweite Projekte wie das Programm „Mobbingfreie Schule – Gemeinsam Klasse sein!“ haben ihren Teil zur Prävention von Gewalt beigetragen. Zunehmende Gewalt an Stuttgarter Schulen – die Schulleiter jedenfalls behaupten, alles im Griff zu haben.