Sicherheitspersonal bewacht die Szenerie an einem afghanischen Feiertag. Foto: AFP

Die Situation am Hindukusch ist so schlecht wie nie, sagt Afghanistan-Experte Thomas Ruttig. Die Bundesregierung sei bei ihrer Einschätzung der Lage schlecht informiert. Zudem haben sich die Taliban verändert – und sind in vielen Punkten nicht schlimmer als die Verbündeten des Westens.

Stuttgart - Die Entscheidung der USA, mehr Soldaten an den Hindukusch zu senden, sei eine „Entscheidung aus Ratlosigkeit“ sagt Thomas Ruttig, Co-Direktor des Afghanistan Analysts Network. Die Regierung in Kabul schaffe es nicht, Probleme zu lösen – während die Taliban dazulernen und auch Mädchen Zugang zu Bildung erlauben.

Herr Ruttig, die Bundesregierung hat im August festgestellt, dass in 27 von 34 Provinzen Afghanistans mit Angriffe der Taliban zu rechnen ist. Was halten Sie davon?
Mir scheint, d ass der Bericht nicht das ganze Bild zeichnet. Die Informationen sind zum Teil auch nicht korrekt. An dem Tag, an dem ich den Bericht zum ersten Mal gelesen habe, wurde mindestens in zwei von den sieben Provinzen, in denen der Bundesregierung nichts über angekündigte Taleban-Operationen vorlag, gekämpft. In einer, Farah, wurde über Monate immer wieder gekämpft. Es ist mir rätselhaft, wie man das nicht bemerken kann.
Wie kommt das Auswärtige Amt zu seiner Einschätzung?
Die Quellen werden ja angegeben, zum Beispiel UN-Berichte. Wahrscheinlich fließen noch Informationen aus Militär- und Geheimdienstkreisen ein. Insgesamt widersprechen grundsätzliche Einschätzungen der Bundesregierung den UN-Berichten.
Wie beurteilen Sie die Sicherheitslage?
Die ist so schlecht wie nie. Im März hatte der UN-Sondergesandte gesagt, dass sich die Situation 2016 und nach 2017 hinein verschlechtert habe. Im Juni-Bericht steht, die Lage sei weiter höchst explosiv. Die UN haben die höchste Zahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen seit 2001 registriert. Und das im Winter 2016/17, wo es eigentlich immer heißt, es gebe eine Kampfpause. Die Bundesregierung hat recht, wenn sie sagt, dass manche Gebiete sicherer sind als andere. Wirklich sicher ist es aber nirgendwo.