Teilnehmer des Protests gegen das AfD-Treffen in Sigmaringen. Foto: Günther Brender

Die Landeserstaufnahmestelle (Lea) für Flüchtlinge spaltet die Stadt. Davon wollte die AfD-Landtagsfraktion profitieren. Sie lud zum „Bürgerdialog“ in die Stadthalle.

Sigmaringen - Das Schloss glänzt im Abendlicht, aber das idyllische Bild ist trügerisch. In Sigmaringen brodelt es. Die Landeserstaufnahmestelle (Lea) für Flüchtlinge in der Graf-Stauffenberg-Kaserne soll zur größten von vier dauerhaften Leas in Baden-Württemberg ausgebaut werden. Mit regelhaft 1250 Plätzen plant die grün-schwarze Landesregierung. Das schafft Unruhe in der Stadt mit nur 16 000 Einwohnern. Gegner und Befürworter stehen sich gegenüber. Ihr gegenseitiges Unverständnis wächst.

Auch am Donnerstagabend ist das Brodeln an der Donau spürbar. Die AfD-Landtagsfraktion hat nach Sigmaringen eingeladen. Ihre Volksvertreter von der Alb wollen mit Bürgern ins Gespräch kommen. Thema des Abends sind „Probleme illegaler Zuwanderung“. Dazu soll als Gast der rechtskonservative Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider sprechen. Der AfD-Abgeordnete Daniel Rottmann ist da, ebenso seine Kollegen Lars Patrick Berg, Stefan Herre und Hans Peter Stauch. Mit Jörg Meuthen und seinem Vize Emil Sänze ist auch die Fraktionsspitze prominent in der Sigmaringer Stadthalle vertreten.

Die von CDU-Bürgermeister Thomas Schärer regierte Kommune hatte die Räumlichkeit unter Hinweis auf die demokratische Legitimation der Landtags-AfD freigegeben. Empörend finden das die gut drei Dutzend AfD-Gegner, die auf einem Parkplatz vor der Halle protestieren. Angesichts eines robusten Polizeiaufgebots halten sie ihre Plakate allerdings beinahe schüchtern hoch. „Kein Mensch ist illegal“ und „Refugees Welcome“ steht darauf zu lesen.

Robustes Polizeiaufgebot vor der Stadthalle

Es stimme, dass einige der in der Kaserne untergebrachten Asylbewerber Probleme machen, sagt einer der Demonstranten. Es handle sich aber nur um eine kleine Minderheit von 20 bis 30 Personen aus Nordafrika. Seit die Polizei vor Ort mehr Präsenz zeige, habe sich die Lage gebessert, sagt der Mann. Seine Begleiterin, ebenfalls Ende 50, erklärt, dass es in der Stadt immer noch eine große Hilfsbereitschaft gebe. Nicht alle, die sich freiwillig für die Arbeit mit Flüchtlingen meldeten, kämen auch zum Zuge. Es bleibe wichtig, den in Not geratenen Menschen zu helfen. Sigmaringen könne dabei vorangehen – auch mit einer dauerhaften Lea.

Mit eisigen Mienen ziehen die Gäste der AfD an den Demonstranten vorbei zur Halle. Sie zeichnen ein ganz anderes Bild der Lage. Viele Sigmaringer hätten Angst, sagt ein älterer Herr. Immer wieder komme es zu Vandalismus, Randalen und Übergriffen. Erst neulich habe ein Flüchtling eine Rentnerin bis kurz vor ihre Wohnung verfolgt, schildert er. Wenn das Land sich mit seinen Lea-Plänen gegen den Willen der Stadt durchsetze, werde die Stimmung kippen. Sigmaringen sei einfach zu klein für eine so große Erstaufnahmestelle.

Auch CDU-Stadtoberhaupt Schärer vertritt diese Auffassung. Er will die Einrichtung 2020 schließen und auf dem Kasernengelände einen Innovationscampus einrichten. Die Verhandlungen mit dem Land laufen. Im Innenministerium in Stuttgart heißt es, man strebe eine „einvernehmliche Lösung“ an. Ein guter Kompromiss sei wichtiger als ein schnelles Ergebnis.

Treffen in anderen Städten sollen folgen

Um 19 Uhr schließlich beginnt die AfD ihren „Bürgerdialog“, dem Treffen in Freiburg, Pforzheim und Heilbronn folgen sollen. Die Stadthalle ist mit rund 350 Menschen gut besetzt. Es sind überwiegend Männer über 50. Gastredner Schachtschneider bekommt viel Applaus für seine Thesen. Mehr als eine Million „angeblicher Flüchtlinge“ ins Land zu lassen sei ein „schwerer Rechtsbruch“ gewesen. Die Kanzlerin habe die Moral über das Recht gestellt. Es bedürfe nun einer „Revolution“, um zum Recht zurückzukehren. Er zähle ganz auf die AfD als „alleinige Oppositionspartei“.

Nicht ein einziger Neuankömmling habe das Recht, sich in Deutschland aufzuhalten, führt Schachtschneider aus. Auch um der Gefahr einer Islamisierung zu begegnen, seien Massenabschiebungen unabdingbar, „aber leider funktioniert das nicht“. AfD-Fraktionsvize Sänze nimmt den Ball auf. Erstmals präsentiert er das von ihm ausgearbeitete Programm „Fit for Return“ ( „Fit für die Rückkehr“) gegen „unerwünschte Migration“. Neben einem strengen Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild wird darin eine schnelle Abschiebung etwa von straffälligen Asylbewerbern gefordert. Die Kernidee aber ist: Qualifizierte Flüchtlinge bilden unqualifizierte Flüchtlinge aus, damit sie „bei ihrer Rückkehr einen wertvollen Beitrag für den Aufbau ihres Heimatlandes leisten können“.

Sänze macht keinen Hehl daraus, dass auch er die Flüchtlinge loswerden möchte. Doch in der bunten Fragerunde mit den AfD-Abgeordneten, die den Abend nach zweieinhalb Stunden beschließt und in der er wie auch Meuthen für die internen Querelen hart angegangen wird, erntet er Unverständnis. Warum er die Menschen erst noch auf Kosten der Steuerzahler ausbilden lassen wolle, statt sie gleich abzuschieben, wird Sänze gefragt. Es gehe darum, die „Zeit bis zur Rückführung sinnvoll zu füllen“, antwortet er. „Es kann nicht sein, dass wir arbeiten müssen, während die durch die Stadt vagabundieren und sich langweilen.“ Der Rottweiler hat gerade noch die Kurve gekriegt. Das zeigt donnernder Applaus.