Sprießender Spargel – wie lange hält sich der Anbau im Rheintal noch? Foto: dpa

Mit Grafiken - Jahrelang profitierte die deutsche Landwirtschaft von geringen Löhnen für Erntearbeiter. Durch den Mindestlohn ändert sich nun alles. Nun befürchten die Bauern französische Verhältnisse. Dort machte die Lohnuntergrenze Spargel und Erdbeere den Garaus.

Freiburg - Wenn die Bauern im Badischen irgendwohin mit Sorge blicken, dann über den Rhein nach Frankreich. Wo auf französischer Seite früher schmackhafter Spargel und knackige Beeren en masse kultiviert wurden, „steht jetzt ein Maisfeld neben dem nächsten“, wie es von den badischen Landwirten heißt.

Von kleinen Bereichen nahe der Schweiz mit ihren zahlungskräftigen Kunden abgesehen, sei der französische Spargel, der für die Franzosen fast ebenso wichtig ist wie edler Wein und gereifter Käse, auf dem Rückzug. Bei Erdbeeren und einer ganzen Reihe anderer schmackhafter Gemüse- und Obstsorten verhält es sich ähnlich.

Lakonisch bemerkte selbst die Zeitung „Le Figaro“ vor einiger Zeit, dass das Elsass als traditioneller Standort sogenannter Sonderkulturen auf dem absteigenden Ast sei.

Nun sieht es so aus, als ob es im fruchtbaren Rheintal auf deutscher Seite genauso kommen könnte. Das jedenfalls befürchten in ziemlicher Eintracht die Wein-, Obst- und Gemüsebauern zwischen Rheinfelden und Bruchsal. Einen Verantwortlichen haben sie schon ausgemacht: den Mindestlohn, der seit Jahresbeginn auch in Deutschland gilt.

„Es besteht die Gefahr, dass besonders der Spargel- und Erdbeeranbau stark abnehmen oder sogar ganz verschwinden wird“, sagt Michael Nödl, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands (BLHV). Jede landwirtschaftliche Tätigkeit, die sich schlecht mechanisieren lasse, gerate durch die neuen gesetzlichen Regelungen unter Druck. Auch der Obstanbau sei betroffen.

Als Negativbeispiel für die deutschen Bauern gilt die Mindestlohn-Gesetzgebung im angrenzenden Frankreich. Dort besteht die Lohnuntergrenze schon seit 1950 und wird jährlich gemäß der allgemeinen Lohnentwicklung angepasst. Seit 2015 werden in Frankreich mindestens 9,61 Euro bezahlt.

Die Lohnschere geht auseinander

Als Folge ging die Lohnschere in den vergangenen Jahren zwischen Elsass und dem benachbarten Baden immer weiter auseinander. Ihren Saisonarbeitskräften zahlten die deutschen Bauern bis Ende 2014 zwischen vier und sieben Euro je Stunde – und damit mitunter nur die Hälfte dessen, was ihre französischen Kollegen für ihre Arbeiter berappen mussten.

Außerdem war Sonntagsarbeit in Deutschland möglich, in Frankreich dagegen tabu. Ein unschlagbarer Vorteil für die deutschen Bauern, der den hiesigen Obst- und Gemüsebau zu einer der wettbewerbsfähigsten Sparten in ganz Europa hat werden lassen – zumal bei Spezialgemüse wie Spargel sowie Beeren und Obst der Arbeitslohn bis zu 70 Prozent der gesamten Produktionskosten ausmacht.

Diesen Trumpf sehen die deutschen Bauern nun im weichen Sand Badens zerrinnen. BLHV-Mann Nödl befürchtet, dass viele Betriebe gezwungen sein könnten, den Bettel hinzuschmeißen.

Dabei ist es gar nicht mal die Höhe des Lohns an sich, der die Bauern auf die Palme bringt. Die damit verbundenen Dokumentationspflichten halten sie für einen solchen „Wahnsinn“, dass sie für kleine bäuerliche Familienbetriebe kaum mehr zu bewältigen seien. Die damit verbundene Arbeitszeitgesetzgebung bezeichnet man als „für die Landwirtschaft untauglich“.

Um die Felder abzuernten, sei es in der Erntesaison phasenweise nötig, „auch 12 bis 13 Stunden täglich“ zu arbeiten, sagt Nödl. Zehn Stunden – wie vorgesehen – reichten nicht aus. Dass jeder Betrieb bei Erntewetter beim zuständigen Regierungspräsidium eine Sondergenehmigung beantrage, klappe sowieso nicht. „Bis die Genehmigung da ist, sind die Erdbeeren verfault“, sagt Nödl.

Berlin soll helfen

Ähnlich verheerend seien die Ruhezeitenregelungen, die mindestens zehn Stunden Pause zwischen den Ernteeinsätzen vorschreiben. Der Grund: Im Hochsommer finden die Ernteeinsätze der Arbeiter frühmorgens und dann wieder am späten Nachmittag statt, um die Feldarbeiter nicht der Hitze der Mittagssonne auszusetzen. Dazwischen ist Freizeit, allerdings weniger als zehn Stunden.

Um diese Probleme zu besprechen, wurden die Bauern vergangene Woche bei Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) in Berlin vorstellig. Ob es etwas gebracht hat, ist noch nicht klar. Immerhin habe sich die Ministerin interessiert gezeigt.

Aus Sicht der baden-württembergischen Landesregierung taugt Frankreich nicht als düstere Zukunftsvision. Zur Auswirkung des Mindestlohns in Baden-Württemberg lasse sich „derzeit keine verlässliche Prognose abgeben“, heißt es vom Stuttgarter Agrarministerium. Die Entwicklung von Betrieben und Betriebszweigen werde neben den Lohnkosten auch von anderen Faktoren beeinflusst, etwa der Maschinisierung oder der Anbaupalette. Allerdings erkennt man an, dass in arbeitsintensiven Kulturen höhere Lohnkosten in der Regel dazu führen, „dass am Ende ein höherer Preis für das Endprodukt erzielt werden muss“.

Da allerdings ist sich Agrar-Funktionär Nödl ziemlich unsicher. Damit der Spargel- und Erdbeeranbau im Rheintal nicht „den Bach runtergeht“, müsse der Lebensmittelhandel den Bauern für ihre Produkte schon „eine massive Schippe“ mehr zahlen.