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Gut zwei Jahre nach dem umstrittenen Polizeieinsatz gegen Stuttgart-21-Gegner ist ein Polizist zu acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden.

Stuttgart - Gut zwei Jahre nach dem umstrittenen Polizeieinsatz gegen Stuttgart-21-Gegner ist ein Polizist zu acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Der 33-Jährige hatte sich gegen einen Strafbefehl über 90 Tagessätze à 40 Euro wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt gewehrt. Deshalb war es zum Prozess am Stuttgarter Amtsgericht gekommen.

Nach Überzeugung der Richterin hat der Polizist einen Demonstranten mit dem Schlagstock geschlagen, noch bevor die Räumung im Schlossgarten am 30. September 2010 per Lautsprecherdurchsage angekündigt wurde. „Das Schöne an dieser Sache ist, dass alles videografiert ist“, sagte sie am Mittwoch. Man könne auf einem Video deutlich sehen, wie der Polizist aushole. Anders als die Staatsanwältin, die 180 Tagessätze beantragt hatte, sah die Richterin keinen minderschweren Fall. Auch Anhaltspunkte für Notwehr gab es ihrer Ansicht nach nicht. Bei dem Polizeieinsatz am 30. September 2010 wurden insgesamt mehr als 100 Menschen verletzt.

Polizist kann sich blaue Flecken des Stuttgart-21-Gegners nicht erklären

Der Polizist selbst gab an, er habe einen Zusammenprall vermeiden wollen. Er und seine Kollegen seien durch den Park zum Einsatzort gelaufen, als der Mann plötzlich auf sie zugerannt sei, sagte der 33-Jährige. Deshalb habe er den 49-jährigen Rechtsanwalt zuerst abgedrängt. Danach habe er ihn mit einem bewusst nach unten gerichteten Schlag abgewehrt. Dabei habe er nur die Aktentasche des Mannes getroffen. Blaue Flecken könne er sich nicht erklären. „Und die können auch nicht von meinem Stock stammen“, sagte er.

Der Stuttgart-21-Gegner sprach von zwei Schlägen, die ihn getroffen hätten: Ein leichter gegen den Rücken und ein stärkerer von vorne gegen Oberarm und Brust. Die blauen Flecke habe seine Freundin mit dem Handy fotografiert. Er könne verstehen, dass Polizeibeamte Recht und Ordnung durchsetzen müssen. Aber die heftige Reaktion zu der ganz frühen Zeit habe ihn „fassungslos“ gemacht. „Da war überhaupt nichts, noch keine Konfrontation“, schilderte er vor Gericht die damalige Lage.

Richerin: Polizeibeamter hat sich nicht an Grenzen gehalten

Ein 57 Jahre alter Polizist berichtete, der 33-Jährige und seine Kollegen hätten mit ihrer Absperrkette keinen Anschluss gefunden, weil Kollegen aus Bayern zu spät kamen. „Die Einsatzkräfte sind in der Luft gehangen“, sagte er. Mit diesem Chaos begründete die Staatsanwältin ihre Einschätzung als minderschwerer Fall. Eine gewisse Unruhe sei verständlich, sagte sie. „Da steht man mit acht Leuten und bildet eine Kette, um die jeder herumrennt.“ Der Verteidiger hob unter anderem darauf ab, die blauen Flecken würden gar nicht zum Schlagstock passen und beantragte Freispruch.

„Die Verletzungen sind sowas von schlagstocktypisch“, urteilte dagegen die Richterin. Das Chaos beim Einsatz sei nicht entscheidend, weil der 33-Jährige sich nach eigenen Angaben ganz Herr der Lage fühlte. „Sie haben die Grenzen, an die sie sich gerade als Polizeibeamter halten müssen, nicht eingehalten.“ Sollte das Urteil rechtskräftig werden, gilt der 33-Jährige als vorbestraft. Mit der ursprünglich im Haftbefehl verhängten Strafe von 90 Tagessätzen wäre er das nicht gewesen. Ob der Mann noch mit disziplinarischen Folgen rechnen muss, war vom Innenministerium zunächst nicht zu erfahren.