Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (links) und und sein türkischer Amtskollege Mevlüt Cavusoglu kamen zu keiner Einigung. Foto: AP

Ein Gebräu aus falschem Stolz, nationaler Verblendung und juristischem wie politischem Misstrauen vergiftet die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei. Das macht aus der Kunst des Machbaren die Lust am Zwanghaften, kommentiert der stellvertretende Chefredakteur Wolfgang Molitor.

Stuttgart - Man hat sich nichts mehr zu sagen. Im Privaten wird dann von einem zerrütteten Verhältnis gesprochen, dem normalerweise die Scheidung folgt. In der Politik ist das anders. Beide Seiten betonen ihre Sprachlosigkeit, um trotz aller Entfremdung im selben Atemzug das seidene Fädchen etwas dicker wirken zu lassen, an dem die heikle Beziehung irgendwie doch noch hängt. Deutschland und die Türkei sind nach dem gescheiterten Vermittlungsversuch von Sigmar Gabriel an diesem Eskalationspunkt angekommen, der auf beiden Seiten von Verbitterung und Verständnislosigkeit geprägt ist.

Damit steht fest: Die Bundeswehr wird – wenn auch noch ohne festen Termin und konkreten Plan – vom türkischen Stützpunkt in Incirlik abgezogen, weil sich die Regierung in Ankara aus innenpolitischen Motiven nicht in der Lage sieht, das Besuchsverbot für deutsche Abgeordnete aufzuheben. Der Besuch des deutschen Außenministers war ohnehin nicht mehr als die letzte taktische Variante, die Sprachlosigkeit zwischen beiden Ländern in Worte des Bedauerns zu kleiden.

Diplomatische Schaumschlägerei

Die Lage ist ernst. Gabriels Hoffnung, die deutsch-türkischen Beziehungen nach dem Incirlik-Knall auf den Weg der Normalisierung bringen zu können, zu verhindern, „dass wir einander gänzlich verlieren“, ist eher diplomatische Schaumschlägerei denn politische Option. Die Verletzungen sind hier wie dort schwer, die Wunden tief. In Berlin fühlt man sich im Recht, die von der Türkei mit windigen Behauptungen in Szene gesetzte Inhaftierung des deutsch-türkischen Korrespondenten Deniz Yücel zu einer der Bruchstellen zu erklären. Ankara – wo man dem Ruf nach Pressefreiheit mit der Forderung nach Terrorbekämpfung begegnet – gibt sich dagegen fassungslos, dass sich der Nato-Partner und alte Freund brüsk weigert, Auslieferungsgesuchen stattzugeben, um mutmaßlichen Putschisten in der Türkei den Prozess machen zu können. Mehr noch, dass Deutschland eventuell türkischen Militärs und ihren Familien Asyl gewährt.

Gegenseitige Abhängigkeit als einzige Grundlage

Es ist ein Gebräu aus falschem Stolz, nationaler Verblendung, juristischem wie politischem Misstrauen und emotionaler Entfremdung, das die Beziehungen vergiftet. Ein Staatspräsident, der in seinen Attacken auf deutsche Politiker jedes Maß verloren hat, kocht auf diesem Feuer sein eigenes Zahn-um-Zahn-Süppchen. Auf diesem Konfrontationsweg ist aus der Kunst des Machbaren längst die Lust am Zwanghaften geworden. Jedes auch noch so zarte Einlenken, jedes noch so kosmetisch wirkende Einlenken – schwer vorstellbar ohnehin, wo anzuknüpfen wäre – brächte die Politik in Ankara, aber auch die Bundeskanzlerin in neue Bedrängnis. Als einzige Grundlage künftiger Kontakte bleibt da nur die gegenseitige Abhängigkeit – wirtschaftlich aufseiten der Türkei, im Rahmen der europäischen Flüchtlingspolitik aufseiten Berlins. Realpolitikern mag das reichen. Jene, die sich eine bessere Integration von 1,4 Millionen türkischen Staatsbürgern in Deutschland erhoffen, dürfen sich mit dieser Entfremdung nicht abfinden.

Flucht in Symbolik

Denn auch auf deutscher Seite flüchtet man sich in Symbolik. 81 Prozent der Deutschen finden es richtig, die rund 260 deutschen Soldaten mit ihren Tornado-Aufklärungsjets und einem Tankflugzeug aus Incirlik abzuziehen. Die Grünen-Politikerin Claudia Roth steht mit ihrem Ruf nach einer „vollständigen Neuvermessung der deutsch-türkischen Beziehungen“ nicht allein. So weit wird es die Bundesregierung wohl nicht kommen lassen. Der Abzug aus Incirlik, so beruhigt der deutsche Außenminister, bedeute eher das Ende eines belastenden Streits als eine weitere Eskalation. Kaum zu glauben, dass einer wie Staatspräsident Erdogan das auch so sieht.

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