Für Martin Harnik und den VfB Stuttgart geht es im Spiel gegen Mainz 05 um alles – und viele Vertreter von Politik und Wirtschaft drücken die Daumen, auch wenn sie selbst gar keine Fans der Roten sind Foto: dpa

Dem VfB Stuttgart droht der Gang in die Zweitklassigkeit. Egal ist das rund um die Landeshauptstadt nur wenigen. Denn der gute Ruf einer ganzen Region könnte bei einem Abstieg leiden.

Stuttgart - Fritz Kuhn steht nicht im Verdacht, als Fußballfan eine übertrieben emotionale Beziehung zum Verein für Bewegungsspiele zu pflegen. Der Stuttgarter Oberbürgermeister ist seit langer Zeit bekennender Anhänger des FC Bayern München. Und doch schließt sich das Stadtoberhaupt ausdrücklich mit ein, wenn es sagt: „Ein Abstieg des VfB wäre ein harter Schlag für alle Stuttgarterinnen und Stuttgarter.“ Selbst für solche, die nichts mit den Roten aus Bad Cannstatt verbindet. Oder die ihnen klammheimlich oder ganz offen schon lange die Pest an den Hals wünschen.

Denn ein Abstieg des VfB Stuttgart aus der ersten Liga könnte Folgen für die gesamte Region haben. Natürlich würden die 45 000 Mitglieder des größten Vereins im Land leiden, dazu die vielen Fans. Der Club selbst würde zig Millionen Euro verlieren.

Aber die Auswirkungen gehen weit darüber hinaus. 2300 Menschen sind bisher bei jedem Heimspiel in der Mercedes-Benz-Arena beschäftigt. Der Verein zahlt jährlich rund 50 Millionen Euro Steuern an den Fiskus. Diese Zahlen würden sinken. Doch noch viel mehr beschäftigt Wirtschaft und Politik ein anderer Faktor: Der Ruf einer Region, die für sich selbst in Anspruch nimmt, in vielerlei Hinsicht in der Champions League zu spielen.

„Natürlich ist der VfB auch Imageträger der Stadt“, sagt Fritz Kuhn. Es wäre „herb“, wenn der Verein nicht mehr erstklassig wäre, denn die Bundesliga sei immer ein Gesprächsthema in ganz Deutschland. Und weit darüber hinaus. „Die größte Sorge, die wir von unseren Betrieben derzeit immer wieder hören, ist das Image“, sagt Daniel Ohl. Der Landessprecher des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) weiß, warum Wirte und Gastgeber sich den Kopf zerbrechen: „Die Bundesliga wird in vielen Ländern auf der ganzen Welt beobachtet. Steigt der VfB ab, wird der Name Stuttgart nicht mehr so oft genannt.“

Verliert die Region ihr sportliches Aushängeschild, verschwindet sie von vielen Fernsehbildschirmen. Eine bittere Erkenntnis für eine Branche, die darauf angewiesen ist, dass mögliche Besucher aufmerksam werden und positive Eindrücke mit einer Stadt verbinden.

Abstieg auch für Arbeit der Stadtwerber schlecht

Ein Abstieg würde deshalb auch die Arbeit der Stadtwerber erschweren. „In der zweiten Liga sind die Kameras nicht mehr im selben Maß auf Stuttgart gerichtet“, sagt Armin Dellnitz. Der Touristikchef von Stadt und Region würde den Gang der Roten in die Zweitklassigkeit sehr bedauern, obwohl er kein ausgeprägter Fußballfan ist. „Ein wertvoller Werbepartner würde an Kraft verlieren.“ Zwar gebe es mit den großen Tennis- und Reitturnieren weiter hochkarätige Sportveranstaltungen, doch die Kicker in der Bundesliga sind eben das ganze Jahr über präsent.

Dellnitz erwartet nicht, dass ein Abstieg sich sofort erheblich in der Übernachtungsstatistik auswirken würde. Doch neben einem Knick im Selbstverständnis der Region, überall ganz vorne dabei sein zu wollen, sieht er auch ganz konkrete Folgen: „Der Verein wäre ein schwächerer Botschafter und die unmittelbare Wertschöpfung für die Wirtschaft würde sinken, weil zu den Heimspielen weniger Zuschauer kommen.“

Das glaubt auch Dehoga-Sprecher Ohl. „Hotellerie und Gastronomie werden den einen oder anderen Gast verlieren. In der zweiten Liga gibt es einfach weniger zugkräftige Namen. Es ist halt schon ein Unterschied, ob Bayern München oder Erzgebirge Aue nach Stuttgart kommen.“ In Zahlen fassen lassen sich die Erwartungen aber auch hier nicht. An den Rand der Existenz, da ist sich Ohl sicher, dürfte wohl kaum ein Betrieb durch die VfB-Krise geraten.

Suche nach Fachkräften: Stadionbesuche locken

Ganz unerheblich allerdings ist sie auch für andere Branchen nicht. Bei der Suche nach Fachkräften oder besonderen Angeboten für wichtige Kunden spielen Stadionbesuche eine große Rolle. Samstag für Samstag sind die Logen der Mercedes-Benz-Arena voll mit Ehrengästen, die von Betrieben eingeladen werden, um die Geschäftsbeziehungen auf besondere Weise zu festigen. „Damit holt man in der zweiten Liga keinen mehr hinterm Ofen vor“, sagt ein Branchenkenner. Er spricht von den „weichen Standortfaktoren“ einer Wirtschaftsregion. Von den kleinen Besonderheiten, die mit darüber entscheiden, wer wo welchen Job antritt oder welchen Auftrag vergibt.

Diese Gefahr sieht man auch bei der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart (IHK). „Egal wäre ein VfB-Abstieg hier keinem“, sagt Sprecherin Anke Seifert. An der Bundesliga hingen Touristen und Geschäfte, zudem sei sie eine Imagefrage.

„Alles, was den Standort schwächt, ist schlecht für die Unternehmen“, weiß Seifert. Viele Betriebe suchten händeringend nach Fachkräften. Gerade bei jüngeren Arbeitnehmern spiele es eine große Rolle, welche Infrastruktur es gibt. Schulen sind wichtig, der öffentliche Nahverkehr, aber auch Kulturangebote, zu denen der Fußball gehört.

Verein in der Bundesliga ein wichtiges Aushängeschild

„Für eine Stadt wie Stuttgart, wo viele Unternehmen weltweit in der obersten Liga spielen, ist ein Verein in der Fußball-Bundesliga ein wichtiges Aushängeschild“, sagt auch der stellvertretende IHK-Hauptgeschäftsführer Bernd Engelhardt. Er glaubt allerdings , dass für den rein wirtschaftlichen Erfolg der Betriebe ein Abstieg des VfB zunächst keine Auswirkungen hätte. Wie sich das entwickelt, falls der Verein länger in der zweiten Liga bleiben sollte, dazu wagt bisher niemand eine Prognose.

Engelhardt hat immerhin auch hoffnungsvolle Nachrichten für die strauchelnden Roten. „Wir hoffen weiter auf den Klassenerhalt. Aber auch in der zweiten Liga würde der VfB sicher Unterstützer in der Wirtschaft für einen Neustart finden“, sagt er. Das wäre aber wohl auch davon abhängig, wie der Neustart ausfällt – und wie überzeugend die Konzepte dafür sind. „Wir hoffen, dass der VfB drin bleibt – und falls nicht, wünschen wir ihm einen schnellen Wiederaufstieg“, sagt Gastro-Experte Ohl. Schon im eigenen Interesse der Branche.

Noch sind die Kameras der Republik und der Welt auf Stuttgart und den VfB gerichtet. Im Kampf um den Klassenverbleib vielleicht sogar noch ein bisschen mehr als in einer Saison im Niemandsland der Bundesliga. Mainz und Hamburg lauten die letzten beiden Gegner zu Hause.

Von der Partie an diesem Samstagabend gegen den einst als Karnevalsverein verspotteten Ligarivalen aus Mainz hängt vieles ab. Nicht nur für den Club. Geht die Mission schief, heißen die Kontrahenten im nächsten Jahr Heidenheim, Sandhausen oder FSV Frankfurt.

Zweitklassigkeit. Eigentlich unvorstellbar für das sportliche Aushängeschild der Region. Und doch ein Szenario, mit dem man sich ernsthaft beschäftigen muss. Auch bei Politik und Wirtschaft. Deshalb zittert an diesem Wochenende auch so mancher mit, dem die Roten sonst persönlich ziemlich egal sind. Ob ein Abstieg nur ein schmerzlicher Betriebsunfall wäre oder doch ein größeres Problem, müsste sich in der Folge erst noch zeigen. Eines wäre er auf jeden Fall, mit den Worten von Fritz Kuhn: „Herb.“