Im schmerzvollen Triumph vereint: Bastian Schweinsteiger und Bundestrainer Joachim Löw beim WM-Sieg 2014 Foto: dpa

Bastian Schweinsteiger steht wie kaum ein anderer für den Wandel der DFB-Elf vom Rumpel- zum Zauberfußball. Er geht als Legende – auch deshalb, weil er bei seinem Aufstieg zum Weltstar stets die menschlichen Werte vorgelebt hat.

Stuttgart - Er hat sich den Moment mehr als einmal ausgemalt – wie es wohl wäre, wenn er nicht mehr Nationalspieler wäre. Es war vermutlich ein lustiger Zeitvertreib, sich den letzten Auftritt im Trikot mit dem Bundesadler vorzustellen und vielleicht auch auszuschmücken, so viel Eitelkeit darf sein nach 120 Länderspielen, sieben Turnier-Teilnahmen und dem Triumph im WM-Finale 2014. Das Kopfkino produziert ja beliebig viele und beliebig bunte Bilder, wenn die Gedanken erst einmal fliegen und kein Regisseur die Fantasie einengt.

Bestimmt hat sich Bastian Schweinsteiger bei dieser Luftnummer ein volles Stadion vorgestellt, am liebsten in München, das dem gebürtigen Oberaudorfer zur Heimat geworden ist, ein Auftritt mit viel Brimborium und großen Emotionen. Letzteres wird er nun, da er tatsächlich angekommen ist an der Schwelle zum Ex-Nationalspieler, wohl genießen dürfen. Nur mit der vollen Hütte wird es nichts, und in München steht seine Abschiedsarena auch nicht, sondern irgendwo auf einer Wiese weit außerhalb von Mönchengladbach.

Um den Borussia-Park ist zuletzt ein anonymer Vorort entstanden, und ähnlich unpersönlich wird auch die Kulisse sein. Erst 20 000 Karten sind verkauft, das Stadion wird kaum zur Hälfte gefüllt sein, was Schweinsteiger angeblich aber nicht anficht: „Ich verspüre eine sehr, sehr tiefe Dankbarkeit, dass ich 120 Länderspiele machen durfte, und bin stolz, dass ich überhaupt ein Abschiedsspiel bekomme. Ich freue mich über jeden Einzelnen, der kommt.“

Fußball-Deutschland erhebt sich zu Schweinsteigers Ehren

Der Abend, Schweinsteigers Abend, besiegelt dessen Ankündigung, nie wieder für die Nationalmannschaft aufzulaufen. Nun tut er es also doch, zum 121. und letzten Mal an diesem Mittwoch (20.45 Uhr/ZDF) gegen Finnland, was auch nicht der ersehnte Gegner ist für einen großen Abschied. „Es war mir eine Ehre, für Euch zu spielen“, hatte der scheidende Kapitän vor drei Wochen zum Ende seiner zwölf Jahre währenden DFB-Karriere gesagt und damit vor allem die Millionen Fans gemeint, die ihn wie kaum einen anderen in ihre Herzen geschlossen haben.

Nun, in diesem Punkt darf er sich der gebotenen Wertschätzung sicher sein, erhebt sich Fußball-Deutschland nicht nur zur Hymne, sondern vor allem zu seinen Ehren. Zu Ehren des Mannes, der wie kaum ein anderer den Stilwandel der Nationalelf vom Rumpel- zum Zauberfußball verkörpert.

Vom Schweini mit blondiertem Haar und schwarz lackierten Fingernägeln ist er über die Jahre zum Basti gereift, der den Autogrammwunsch eines Kindes ebenso freundlich bedient wie das publicity-trächtige Ansinnen der Kanzlerin Angela Merkel nach einem Siegerfoto in der Kabine. Weil er sich in beiden Rollen heimisch fühlt, darf er für sich in Anspruch nehmen, ein ganz normaler Weltstar zu sein – schon jetzt eine Legende, die herzlich, nahbar und bodenständig geblieben ist, auch wenn zuletzt die Fotos seiner Hochzeit mit dem Tennisstar Ana Ivanovic in Venedig anderes haben vermuten lassen. Das ist dann ausnahmsweise ein anderer Schweinsteiger als jener, der die junge Spielergeneration am Dienstag ermahnte, sie möge „die Grundgesetze des Fußballs, die Tugenden, auf die es ankommt, nicht verlieren“. Für den „die Fanmeilen-Stimmung das Schönste und Motivation für mich ist“. Und der seinem Nachfolger als Kapitän rät, „nicht in erster Linie an sich zu denken“. Der wahre Schweinsteiger ist ein Diener des Profifußballs, den er nach wie vor liebt, aber zunehmend kritisch begleitet – wofür ihn Joachim Löw über die Maßen schätzt. „Bastian ist einfühlsam, sensibel und von Grund auf ehrlich. Ich fühle mich immer wohl in seiner Nähe – als Trainer und als Mensch“, sagt der Bundestrainer.

Ohne seine vielen Verletzungen hätte er 175 statt 121 Länderspiele gemacht

Schweinsteiger hat seine Karriere nie als Ego-Trip (miss)verstanden, weshalb an ihrem Ende die Hochglanzfotos des Champions-League-Triumphes von 2013 und des WM-Sieges 2014 hängen bleiben, aber fast noch intensiver die Blut-, Schweiß- und Schmerz-Szenen – vom verlorenen Finale 2012 in der Königsklasse und vom Halbfinal-Aus gegen Italien bei der EM im gleichen Jahr. Und natürlich sein schmerzverzerrtes und blutverschmiertes Gesicht vom WM-Triumph im Maracanã, das von der enormen Willens- und Widerstandskraft gegen sich und seinen zunehmend schwächelnden Körper zeugt. Eigentlich würde er gegen Finnland ein 175. Länderspiel machen, nicht sein 121., wäre er weniger verletzt gewesen. So sehr zehren die Jahre an ihm, dass er sich im Sommer eingestehen musste: „Ich bringe nicht mehr die gleiche Leidenschaft auf wie vor zwei Jahren.“

Deshalb macht er jetzt lieber Schluss, allerdings nicht bei seinem Verein Manchester United, wo ihn José Mourinho trotz seines Vertrages bis 2018 brüsk aussortiert hat. Das versetzt dem Mann mit dem großen Herzen einen kleinen Schmerz. Klein deshalb, weil er das als letztes Wort seines Trainers nicht akzeptieren mag. Vielmehr hofft er auf ein Einsehen des Menschen Mourinho. „Mein absoluter Traum ist es, für ManU zu spielen. Wenn ich eine faire Chance erhalte, glaube ich daran. Ich glaube an meine Fähigkeiten.“ Er werde abwarten bis Oktober, dann sei auch die Major Soccer League in den USA eine Option: „Ich sehe mich als Fußballer. Ich werde nicht aufhören, Fußball zu spielen.“

Nur beim DFB hört er nun auf. „Servus, Basti“ lautet das Motto. Das passt zu Schweinsteiger: Es geht einer von uns. Ein Stück Fußball-Deutschland – kein kleines.