Aus der grün-roten Fraktion in Baden-Württemberg kommt Ablehnung gegen das "Gymnasium 2020". Foto: dpa

Das „Gymnasium 2020“ findet im Jahr 2015 im Südwesten kaum Freunde. Selbst in den Koalitionsfraktionen rümpfen Bildungsexperten die Nase. Das Konzept grabe vor allem den beruflichen Schulen das Wasser ab.

Stuttgart - Nach Kritik aus der Opposition stoßen die Vorschläge zum „Gymnasium 2020“ auch bei den grün-roten Regierungsfraktionen auf Ablehnung. Insbesondere die von einem Arbeitskreis des Kultusministeriums angeregte Neuordnung der Oberstufe sei nicht sinnvoll, sagte SPD-Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei der Deutschen Presse-Agentur am Montag in Stuttgart. „Das wird es mit uns nicht geben.“ Der Arbeitskreis schlägt unter anderem vor, die Klasse 10 der Oberstufe zuzuschlagen und Schüler von Real- und Gemeinschaftsschulen den Zugang zu allgemeinbildenden Gymnasien zu erleichtern.

Auch die Grünen lehnen das Papier als Ganzes ab - einzelne Elemente könne man aber weiter diskutieren, sagte die grüne Bildungsexpertin Sandra Boser. Sie und Fulst-Blei plädierten für Verbesserungen an der „Endlosbaustelle“ achtjähriges Gymnasium, aber nicht für einen Umbau. Oppositionspolitiker und Philologenverband sehen die Anregungen als Anfang vom Ende des klassischen Gymnasiums.

Dieses will Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) aber unbedingt erhalten als Säule neben Real- und Gemeinschaftsschule. „Daran wird nicht gerüttelt“, ließ er über einen Sprecher wissen. Die Grüne Jugend denkt in der Tat in die entgegengesetzte Richtung: In einer Resolution für die Mitgliederversammlung vom 8. bis 10. Mai fordert der Landesvorstand der Jugendorganisation den „Umbau des Schulsystem hin zu einer Schule für alle“. Kretschmann hatte in der Vergangenheit betont: „Wer sich am Gymnasium vergreift, überlebt das politisch nicht.“

Guido Wolf plädiert für "Gymnasium pur"

Die CDU-Fraktion sieht Kultusminister Andreas Stoch (SPD) blamiert. Denn: „Selbst die eigene Fraktion sieht sich in der Pflicht, diese ideologischen Planspiele so schnell wie möglich zu kassieren.“ Stoch habe ein Steuerungsproblem, konstatierte Bildungsexperte Georg Wacker. CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf plädierte für das „Gymnasium pur“ statt „Gymnasium light“.

Das Konzept „Gymnasium 2020“ schade der Qualität der Schulart. Nach Ansicht von Fulst-Blei könnten die angedachten erleichterten Zugänge auf das allgemeinbildende Gymnasium für Real- und Gemeinschaftsschüler das von Grün-Rot massiv ausgebaute berufliche Schulsystem hart treffen. In dieser Legislaturperiode seien 15 sechsjährige beruflichen Gymnasien, 50 zusätzliche Klassen an beruflichen Gymnasien geschaffen und die Unterrichtsversorgung massiv verbessert worden.

Angesichts dieses finanziellen Kraftaktes für das von Wechslern aus Realschulen bislang bevorzugte berufliche Gymnasien ergebe es keinen Sinn, Parallelstrukturen zu schaffen. „Wir haben das nach Sichtung zur Seite gelegt“, resümierte Fulst-Blei. Auch Boser will eine Konkurrenz zu den beruflichen Gymnasien vermeiden. Diese könnte etwa dadurch entstehen, dass das Niveau des Sprachunterrichts an allgemeinbildenden Gymnasium abgesenkt wird.

Fachkräftemängel könnte verschärft werden

Die Industrie- und Handelskammern fürchten infolge eines erleichterten Übergangs auf ein allgemeinbildendes Gymnasium, dass sich immer weniger Schüler nach der mittleren Reife für eine duale Berufsausbildung entscheiden. Das würde den Fachkräftemangel weiter verschärfen, hieß es.

Auch vom Berufsschullehrerverband kam eine Absage zu einem möglichen allgemeinbildenden Gymnasium als „Aufbaugymnasium“. Mit den beruflichen Gymnasien, die die allgemeine Hochschulreife vermitteln, und den Berufskollegs, die zur Fachhochschulreife führen, stünden für Real-, Werkreal- und Gemeinschaftsschüler genügend Möglichkeiten zum Erwerb eines höheren Bildungsabschlusses offen.

Der von Stoch eingesetzte Arbeitskreis unter anderem mit Vertretern von Eltern, Schülern, Direktoren und des Landesschulbeirates hat das Konzept „Gymnasium 2020“ entwickelt. Wacker forderte Stoch auf, klar darzulegen, wie er persönlich die Zukunft des Gymnasiums sieht. Der Minister wird an diesem Dienstag in der Regierungspressekonferenz aller Voraussicht dazu befragt.