Wahlkampfhilfe von der Kollegin: Michael Müller mit Hannelore Kraft im Technologiepark Adlershof. Foto: dpa

Die Hauptstadt-SPD kämpft drei Wochen vor der Wahl mit schwachen Umfragewerten und wachsender Nervosität

Berlin - Anton Nagy kommt eigentlich aus Chicago, aber seine große Liebe heißt Berlin. Und deshalb gelingt ihm etwas, was zur Zeit wenige schaffen: Er bringt den Regierenden Bürgermeister zum Lächeln. „Ich liebe Berlin“, sagt Nagy. „Alles ist gut hier, die Kindergärten, die Schulen, die Stadt, einfach super.“ So was Nettes hört Michael Müller im Moment nicht besonders oft. Es ist Mittagszeit und er sitzt in der Kantine des Photovoltaikzentrums Adlershof im Süden der Hauptstadt. Neben ihm verspeist seine Ministerpräsidentenkollegin Hannelore Kraft einen glutenfreien Lunch, gerade haben sich die beiden das hypermoderne Unternehmen des Chemikers Nagy angeschaut – ein typischer Wahlkampftermin, Zweck: gute Bilder eines souveränen Amtsinhabers in einem prosperierenden Unternehmen.

Solche Fotos kann Müller wirklich gebrauchen. Denn in drei Wochen wird in Berlin ein neues Abgeordnetenhaus gewählt – und zum ersten Mal wirbt der Amtsinhaber, der in der Mitte der Legislaturperiode für Klaus Wowereit nachgerückt ist, um das Vertrauen der Wähler. Und im Moment sieht es damit nicht besonders gut aus: Schon lange hätte der rot-schwarze Senat Müllers den Umfragen zufolge keine Mehrheit mehr – ein bemerkenswerter Absturz, nachdem sich Müller nach der Amtsübernahme noch vor einem Jahr über sonnenkönighafte Beliebtheitswerte freuen konnte. Nur 33 Prozent der Berliner sind derzeit noch mit der Arbeit des Senats zufrieden, der schlechteste Wert für eine Landesregierung überhaupt.

Die SPD dümpelt bei desaströsen Werten

Die Sozialdemokraten, die schon 2011 mit 28,3 Prozent ein Ergebnis deutlich unterhalb den Erwartungen eingefahren hatten, dümpeln derzeit zwischen desaströsen 21 und 24 Prozent. Die Strategie der SPD war sehr klar angelegt. Früh hat Michael Müller deutlich gemacht, dass er einen linken Richtungswahlkampf führen wird – und dazu gehörte auch die überraschende und frühzeitige Absage an den gegenwärtigen Koalitionspartner CDU. Die Christdemokraten spielen der SPD eigentlich mit einer altbackenen Kampagne in die Hände, die vor allem das Kernthema Sicherheit bedient. Vor Monaten hat Müller mit Bürgerveranstaltungen eine weiche Phase des Wahlkampfs gestartet. Und innerparteilich hatte er den ersten Beliebtheitsschub nach der Amtsübernahme genutzt, um mehr Machtfülle zu erlangen: er griff im Juni nach dem SPD-Vorsitz, der bisherige Amtsinhaber Jan Stöß kandidierte in dieser Situation vor der Wahl logischerweise gar nicht mehr gegen den Spitzenmann.

Aber genutzt hat das alles nichts. Nach den derzeitigen Umfrageergebnissen bleibt den Sozialdemokraten nur eine einzige Machtoption: ein Dreierbündnis mit den Grünen und der Linkspartei, die in der jüngsten Forsa-Umfrage der „Berliner Zeitung“ von dieser Woche bei 19 und 17 Prozent landeten. Die CDU kommt auf 17, die AfD auf 10 und die FDP auf 5 Prozent. Die SPD liegt hier bei 24 und hat damit sogar noch einmal zwei Punkte verloren. Das historisch schlechteste Ergebnis der Sozialdemokraten in der Stadt Willy Brandts von 1999 (22,4 Prozent) ist nicht weit entfernt.

Die Regierungssprecherin macht einen langen Urlaub

Und so macht sich langsam Nervosität bemerkbar, innerparteilich wird die harte Koalitionsaussage teils heftig als Kardinalfehler kritisiert. Das jüngste Gerücht, das für Aufregung sorgte: Die Regierungssprecherin und Vertraute des Bürgermeisters, Daniela Augenstein, nahm kurzfristig ihren gesamten Jahresurlaub – mitten im Wahlkampf. Mehrere Zeitungen berichteten über ein ernstes Zerwürfnis und einen Abgang Augensteins. Die Sprecherin schwieg, die Senatskanzlei widersprach schriftlich.

Mehrere Berliner Zeitungen stellen inzwischen die Frage, wie sicher eigentlich der Führungsanspruch Müllers in der SPD sein kann, sollte die Partei nur knapp stärkste Kraft werden – die Boulevardzeitung „B.Z.“ spekulierte sogar, ob der bisherige Fraktionschef Raed Saleh in so einem Fall statt Müller Regierender Bürgermeister werden könne. Das Gedankenspiel ist wenig plausibel. Nicht zu halten wäre Müller wohl nur, falls die SPD überraschend als zweitstärkste Kraft hinter den Grünen landen sollte, worauf bisher keine einzige Umfrage hindeutet. Innerparteilich allerdings wäre Müller mit einem schlechten Ergebnis so geschwächt, dass sich die Machtfrage für den Parteivorsitz stellen könnte. Sowohl Saleh als auch Stöß waren Müller im Kampf um die Nachfolge Wowereits bei einem Basisentscheid unterlegen. Zwischen den dreien gilt das Verhältnis als schwierig. Immerhin geben die Umfragen auch Anlass zur Hoffnung für Müller. Denn knapp drei Wochen vor der Wahl sind 58 Prozent der Wähler noch nicht entschieden.