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Volkswagen will mehr Zeit für die internen und externen Prüfungen zum Abgas-Skandal. Das Präsidium stellt weitere personelle Weichen. Und die Justiz? Sie muss sich für „Irritationen“ entschuldigen.

Wolfsburg - Es ist in diesen Tagen ein ungewohntes Bild in Wolfsburg. Als das mächtige Präsidium des VW-Aufsichtsrates in der Nacht zum Donnerstag nach siebenstündiger Sitzung das Gebäude „BT10“ auf dem Werksgelände verlässt, warten dort keine Journalisten. Niemand stellt den fünf Männern um den Interimsvorsitzenden Berthold Huber Fragen zum Diesel-Skandal oder zu möglichen Lösungen der Krise.

Die wartenden Reporter wurden schon vor Stunden nach Hause geschickt. Stattdessen herrscht eine Stille, wie es sie hier schon lange nicht mehr gab - und die den Mitglieder des innersten Machtzirkels bei VW nicht unangenehm ist.

Doch Stunden später glühen schon wieder die Telefondrähte: hektische Betriebsamkeit in der Konzernzentrale, wo Beschlüsse und erste Zwischenergebnisse in Worte gefasst werden. Politik, Gesellschaft und Wirtschaft brennen zwar auf Antworten - doch diese müssen auch möglichst exakt und juristisch wasserdicht sein.

Erst am Nachmittag tröpfeln erste Informationen auf den Markt. Trotz vieler Vorbehalte aus dem Konzern und dem Präsidium soll der bisherige Finanzchef von Volkswagen, Hans Dieter Pötsch, das Erbe des geschassten VW-Patriarchen Ferdinand Piëch antreten.

Überraschend schlägt das Kerngremium zudem dem gesamten Aufsichtsrat vor, die bisher für den 9. November vorgesehene außerordentliche Hauptversammlung nicht durchzuführen. „Einvernehmlich hielt man es weder zeitlich noch inhaltlich für realistisch, binnen weniger Wochen zu fundierten Antworten zu kommen, die den berechtigten Erwartungen der Aktionäre entsprechen“, heißt es dazu in einer Erklärung.

Staatsanwaltschaft entschuldigt sich

Pötsch im Aufsichtsrat - die Personalie war für viele Beobachter gleichermaßen überraschend wie erwartbar. Denn am Mittwoch hatten sich die Hinweise verdichtet, dass die Beratungen im Präsidium für den Österreicher kein Selbstläufer werden. Am Ende aber setzten sich die Großaktionärsfamilien Piëch und Porsche gegen alle Vorbehalte durch.

Die Zweifel drehten sich unter anderem um die Frage, welche Rolle Pötsch bei der Entscheidung des Konzerns gespielt hat, die Öffentlichkeit nicht schon am 3. September über die Manipulationen bei Abgaswerten von Dieselfahrzeugen zu informieren. Nach Medienberichten hatte das Unternehmen damals nämlich gegenüber der US-Umweltbehörde EPA schon die millionenfache Täuschung eingeräumt.

Der oberste Chefsessel im mächtigen Kontrollgremium des Autobauers ist seit Ende April vakant - im Zuge der Diesel-Affäre wurde der Top-Posten zunehmend zum Riesenproblem für den gesamten Konzern, wie Insider berichten. Seit Piëchs unrühmlichem Abgang hat der frühere IG-Metall-Chef Berthold Huber die Position übergangsweise inne. „Er macht den Job gut, aber es ist jetzt wichtig, die Interimszeit zu beenden“, sagt ein Kenner zum neuesten Stühlerücken in Wolfsburg.

Unterdessen wurde der Ruf des zurückgetretenen früheren VW-Chefs Martin Winterkorn auf ungewöhnliche Weise rehabilitiert. Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft sah sich nach kritischen Berichten zu einer öffentlichen Entschuldigung wegen möglicher „Irritationen“ veranlasst.

Ein formelles Ermittlungsverfahren gegen Winterkorn persönlich gebe es nicht, hieß es in einer Erklärung, an deren Ende die Richtigstellung stand: „In der ersten Pressemitteilung wurde fälschlicherweise von einem Ermittlungsverfahren gegen Prof. Dr. Winterkorn berichtet.“