9/11: Reste der Fassade des World Trade Centers in New York im November 2001. Foto: dpa

Kaum ein Ereignis beflügelt die Fantasie von Verschwörungsanhängern so sehr wie 9/11. Zum 15. Jahrestag der Terroranschläge werden die hanebüchenen Thesen wieder aus der Schublade geholt.

Stuttgart - 9/11 und kein Ende. 15 Jahre nach den Anschlägen durch El-Kaida-Terroristen melden sich wieder die Anhänger von Verschwörungstheorien zu Wort. In der aktuellen Ausgabe der „Europhysics News“ (EPN, Publikation der „European Physical Society“, einem Zusammenschluss von 42 europäischen physikalischen Gesellschaften) bezweifeln sie die offizielle Einschätzung der Ereignisse vom 11. September 2001 in New York. In ihrem Artikel „15 Years Later: On the Physics of High-Rise Buildung Collapses“ („15 Jahre später – Über die Physik des Zusammensturzes hoher Gebäude“) stellen vier amerikanische Autoren – allesamt bekannte 9/11-Verschwörungstheoretiker – die abschließenden Ergebnisse ihrer Analysen zum Einsturz der drei WTC-Gebäude (die beiden „Twin Towers“ WTC 1 und 2 sowie das WTC-Gebäude 7) vor.

Darin kommen die Autoren Steven Jones (emeritierter Physikprofessor an der Brigham Young University, einer Mormonen-Universität in Provo, US-Bundesstaat Utah), Robert Korol (emeritierter Professor von der McMaster University in Hamilton, Kanada; der Luft- und Raumfahrtingenieur Anthony Szamboti und Ted Walter, Architekt und Direktor der Architektenvereinigung „Architects & Engineers for 9/11 Truth“) zu dem Schluss, dass „kontrollierte Sprengungen“ mit Nanothermit der Grund für den Kollaps der Gebäude war.

„Feuer konnten niemals den vollständigen Einsturz von Stahlrahmen-Hochhäusern herbeiführen. Nicht vor, und nicht seit 9/11. Haben wir also am 11. September 2001 gleich drei Mal ein bis dahin noch nie dagewesenes Ereignis beobachtet und das zu gleich drei unterschiedlichen Zeiten? . . . Stattdessen deuten die Beweise in überwältigender Weise in Richtung der Schlussfolgerung, dass alle drei Gebäude durch kontrollierte Sprengungen zerstört wurden.“

Gewagte Hypothesen: „9/11 conspiracy theories“

Diese gewagte Hypothese ist Teil der Verschwörungstheorien zum 11. September 2001, den sogenannten „9/11 conspiracy theories“. Die Hintermänner und „wahren“ Schuldigen seien nicht El Kaida, sondern die Neokonservativen in der US-Regierung, die CIA und Ex-Präsident George W. Bush. Sie würden hinter einem Komplott („inside job“) stecken, das sie als Rechtfertigung genutzt hätten, um ölreiche Staaten wie den Irak zu besetzen und die Militärausgaben massiv zu steigern.

Die Beweise für diese These, sind nach Ansicht der Autoren überwältigend. So seien Wolkenkratzer mit Stahlskelett noch nie vor oder nach dem 11. September 2001 allein durch die Hitze eines Brandes komplett eingestürzt. Besonders der Einsturz des Gebäudes WTC 7 (das 1987 eröffnete World Trade Center 7, einer der beiden am 11. September eingestürzten Wolkenkratzer) das nicht direkt von einem Flugzeug getroffen worden war, sei verlaufen, wie man das bei einer kontrollierten Sprengung erwarten würde.

Bei dem Terroranschlag durch Mitglieder des islamistischen Terrornetzwerkes El-Kaida waren der Südturm des World-Trade-Centers (WTC 2, um 9.59 Uhr), der Nordturm (WTC 1, um 10.28 Uhr) und WTC 7 (Welthandelszentrum Gebäude 7/Salomon Brothers Building, um 17.20 Uhr).

Krisenzeiten und Verschwörungsdenken

Wer hat Schuld an der Misere der Menschheit?

Gerade in Krisenzeiten wuchern Gerüchte, Vorurteile und Verschwörungsdenken wie ein Krebsgeschwür. „Verschwörungstheorien gedeihen immer dann besonders gut, wenn es Krisen, Konflikte und undurchschaubare Entwicklungen gibt“, erklärt der Politologe und Publizist Tobias Jaecker. Hinter den diversen Krisen würden Konspirationsanhänger das geheime Wirken von Personen oder Institutionen vermuten, die ihre eigenen egoistischen Ziele auf Kosten der Allgemeinheit verfolgen.

Dass es Verschwörungen in der Menschheitsgeschichte immer schon gegeben hat, ist unbestritten. Doch die Anhänger von Verschwörungstheorien wittern hinter jedem komplizierten und für sie unerklärlichen Phänomen und Ereignis finstere Mächte, die im Geheimen die Fäden ziehen. „Grundlage einer Verschwörungstheorie ist ein Verdacht gegen eine als fremd und böse empfundene Gruppe“, erläutert der Wissenschaftsautor Thomas Grüter dieses Phänomen.

Einfache Erklärungen für komplexe Probleme

Ein weiteres kommt hinzu: Verschwörungstheorien haben den Vorteil, dass sie Dinge auf einfache und polarisierende Weise deuten. Erklärungen über komplexe Sachverhalte wie das globale Finanzwesen werden drastisch reduziert, so dass am Ende nur zwei Gruppen übrigbleiben: die eigene gute Fraktion und der böse, mächtige Gegner, auf den man sich fokussiert.

„Im Netz blühen Verschwörungen auf, weil man alles behaupten kann, ohne es zu beweisen“, erläutert der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann. Er sieht im Internet das ideale Medium zur Verbreitung von Absurditäten, da man sich dort mit ungesicherten Daten und abstrusen Behauptungen in unbegrenzter Zahl versorgen kann. „Die Gemeinde derer, die für Verschwörungsdenken empfänglich ist, war schon immer groß, und sie wird immer größer“, sagt Wippermann. „Grund ist die Suche nach einfachen Erklärungen in einer komplizierten Krise.“

Wem nützt es?

Hinter jeder Verschwörungstheorie steckt ein schlichtes Weltbild. Wobei die Anhänger keineswegs intellektuell unterbelichtet sein müssen, wie Jaecker betont. „Die Menschen, die so etwas glauben, sind in allen Bevölkerungsschichten zu finden.“ Wippermann hält die Empfänglichkeit, eine immer komplizierter werdende Welt in Gut und Böse, Opfer und Täter einzuteilen, für eine „anthropologische Konstante“. Verschwörungstheorien gehören ihm zufolge zur Natur des Menschen. „Wenn Gutmenschen Böses geschieht, muss eine Verschwörung dahinterstecken. Das ist die Logik.“

So funktionieren Verschwörungstheorien

Fieslinge am Werk

Verschwörungstheorien geben einfache Antworten auf schwierige Fragen. Im Weltbild von Verschwörungstheoretikern spielen Sündenböcke und dämonisierte Minderheiten eine zentrale Rolle. Die Gegner werden als machtvoll, unsichtbar, allgegenwärtig und böse empfunden. Dieses „Dämonen-Stereotyp“ findet sich nach Meinung Grüters bei Globalisierungsgegnern genauso wie bei evangelikalen Fundamentalisten oder islamistischen Fanatikern.

Das Rezept ist einfach: Es werden nur solche Fakten und Zahlen zugelassen, die das eigene Weltbild stützen. Alles andere wird ignoriert. Ereignisse werden so lange umgedeutet, bis sie ins Konzept passen. Mit der realen Welt hat dieses holzschnittartige Konstrukt nichts zu tun.

Frustration und fehlende politische Kontrolle

Für den Soziologen Hans Jürgen Krysmanski (1935-2016) steht fest: „Verschwörungstheorien sind im Grunde ein Ausdruck der Frustration über mangelnden Zugang in der Politik.“ Sie würden immer dann entstehen, wenn die Demokratie versagt. „Und leider Gottes versagt die Demokratie ja ständig oder immer öfter.“ Mehr denn je haben viele Menschen das Gefühl, dass die Politik über ihre Köpfe hinweg Entscheidungen trifft, die ihr Leben negativ beeinflussen.

Vom diffusen Unbehagen bis zur Verschwörungstheorie ist es dabei oft nur ein kleiner Schritt. Für Thomas Grüter steht jedenfalls fest: „Aufklärung und ständiger Dialog sind das Beste, was man gegen Verschwörungsdenken tun kann.“