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Korrupter Gutachter hat in 8500 Fällen ohne Prüfung Geld kassiert – 20 Werkstätten in sechs Landkreisen betroffen.

Esslingen - Der Vorgang dürfte in dieser Dimension bisher wohl einmalig sein. Er ist im März im Kreis Esslingen aufgefallen. Ein korrupter Prüfer wurde dort in vier Werkstätten in Filderstadt und Leinfelden-Echterdingen tätig. In einem dieser Betriebe ist er inflagranti erwischt und festgenommen worden.

Der Rückruf

Im Kreis Esslingen bekommen in diesen Tagen 2030 Fahrzeughalter Post vom Landratsamt, die ihr Fahrzeug in den vergangenen Monaten zur HU in einer von vier Werkstätten auf den Fildern hatten. Betroffen sind außerdem Kunden von vier Werkstätten im Kreis Böblingen, zwei im Kreis Ludwigsburg, einer im Kreis Göppingen, vier im Kreis Reutlingen und fünf im Kreis Tübingen – rund 8500 Kunden insgesamt. Die meisten dürften völlig ahnungslos sein. Erneut antreten zur HU müssen sie beim Tüv Süd. Viele Autofahrer ärgern sich, dass sie beim Rückruf keine Wahl des Prüfunternehmens haben – das Vorgehen der Landratsämter ist aber rechtens.

Der Fall Nach langwierigen Ermittlungen hat die Polizei im März einen Kfz-Gutachter festgenommen. Er suchte im Auftrag seiner Firma Kfz-Werkstätten auf, um dort die HU abzunehmen. Einige der Werkstätten waren aber gar nicht für die HU ausgerüstet, etwa weil ein Bremsstand oder eine Anlage zur Messung der Lichtanlage fehlt. Der Prüfer soll die Fahrzeuge jeweils nur wenige Minuten in Augenschein genommen haben oder sie nur auf dem Papier gesehen haben. Dennoch verlieh er die Plaketten. Im März wurde er dabei auf frischer Tat in einer Werkstatt auf den Fildern ertappt. Er wurde festgenommen, außer ihm zwei 25 und 26 Jahre alte Verantwortliche aus der Werkstatt. Die Polizei stellte Computer und Unterlagen als Beweismaterial sicher, außerdem 100 000 Euro im Auto des Gutachters. Bei der Vernehmung gab er zu, dass das Geld aus dem Erlös seiner Prüfungstätigkeit stamme. Er soll für jede zu Unrecht verliehene Plakette 70 bis 150 Euro kassiert haben.

Die Täter

Haupttäter ist der 58-jährige Gutachter der GTS (Gesellschaft für technische Sicherheitsprüfungen). Gegen ihn wird jetzt wegen Bestechlichkeit in einem besonders schweren Fall ermittelt sowie wegen Falschbeurkundung im Amt. Weitere Täter sind verschiedene Werkstattbesitzer. Gegen sie laufen Ermittlungen wegen Bestechung sowie Anstiftung zur Falschbeurkundung. Auch einige Kunden sind unter Umständen Täter. Zum einen, wenn sie selbst den Gutachter bestochen haben. Zum andern, wenn sie die zu Unrecht verliehene Prüfplakette bezahlt haben, um den Wert eines Fahrzeugs zu steigern. Das heißt Veräußerungsbetrug.

Kunden müssen HU erneut zahlen

Die GTS

Die Gesellschaft für technische Sicherheitsprüfungen (GTS) in Karlsruhe war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Das Unternehmen gehört zu den kleinen Prüfgesellschaften und ist in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern anerkannt. Ein Entzug der Zulassung ist laut Verkehrsministerium derzeit kein Thema. Dort heißt es, die GTS sei bisher noch nicht aufgefallen. Beim ADAC dagegen berichtet man von drei weiteren Fällen in den vergangenen Jahren, bei denen Ungereimtheiten im Zusammenhang mit GTS-Prüfungen aufgetreten seien. Bei manch anderem Prüfunternehmen fragt man sich angesichts des Ausmaßes inzwischen laut, warum es für die GTS an sich keine Konsequenzen gibt. Hermann Schenk, Gebietsbeauftragter für Baden-Württemberg beim Konkurrenzunternehmen GTÜ, hat noch ein ganz anderes Problem: „Wir sind Leidtragende der Geschichte, weil viele GTS und GTÜ verwechseln“, sagt er. Die Reaktion der Behörden auf die Vorfälle hält er darüber hinaus für „zu spät“.

Die Prüfstellen

Früher war der Tüv die einzige Institution, welche die HU abnehmen durfte. Später kamen Dekra und GTÜ dazu, außerdem viele kleinere Unternehmen. Nach Angaben der Esslinger Polizei sind es inzwischen an die 20. Die Nachuntersuchung der jetzt angeschriebenen Fahrzeughalter darf aber nur der Tüv Süd vornehmen: Er ist die offizielle technische Prüfstelle des Landes. Jedes Bundesland muss eine solche offizielle Prüfstelle vorhalten. Der Tüv Süd in Baden-Württemberg unterliegt aber auch einer einheitlichen Gebührenordnung. In anderen Bundesländern sind zum Teil andere Gesellschaften zuständig, in Sachsen etwa wäre es die Dekra.

Die Kontrolle

Für die Überwachung der Prüfstellen ist das Verkehrsministerium zuständig. Sprecher Edgar Neumann verweist aber auch auf ein Qualitätsmanagement, dem sich einige Gesellschaften freiwillig unterziehen. Zu ihnen gehören Tüv, Dekra, GTÜ und einige kleinere, nicht aber die GTS. Die Prüfstellen würden pro Jahr einmal durch verdeckte Tests mit präparierten Fahrzeugen kontrolliert. Angesichts der Masse der Fahrzeuge bewegten sich diese Stichproben aber im Promille-Bereich, sagt Neumann. Außerdem legen alle Gesellschaften regelmäßig Revisionsberichte vor. Einzelne Prüfer würden von der Behörde dagegen nicht ins Visier genommen.

Die Kunden

Beim Verkehrsministerium haben sich schon mehrere Fahrzeughalter beschwert, die nun erneut Gebühr für die HU bezahlt haben, obwohl ihr Fahrzeug keine Mängel hat. Für Regress muss eigentlich die GTS aufkommen, es ist aber unklar, ob das Unternehmen dies leisten kann. Es gibt aber auch einige Kunden, die offenbar selbst den Gutachter für die falschen Prüfberichte bezahlt haben. Ob das Ermittlungsverfahren auch auf sie ausgeweitet wird, ist noch offen. Zurzeit, so die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Claudia Krauth, richte es sich „gegen den Prüfingenieur und Werkstattbetreiber“.

Die Sicherheit

In den Landkreisen Tübingen und Reutlingen haben mehrere Halter die Nachprüfung ihres Fahrzeugs schon hinter sich. „Dort sind tatsächlich einige nicht mehr vom Hof gefahren, so schwer waren die Mängel“, sagt die Esslinger Polizeisprecherin Christine Menyhart. Die drei Fahrzeuge, die der Prüfer auf den Fildern direkt vor seiner Festnahme mit neuen Prüfplaketten versehen hatte, wurden als verkehrsunsicher eingestuft. Mindestens 50 Prozent der geprüften Fahrzeuge haben erhebliche Mängel. Erfasst würden jetzt nur die Fahrzeuge der letzten ein bis eineinhalb Jahre: Die Ermittler gehen davon aus, dass der Sachverständige auch in den Jahren zuvor unrechtmäßig Plaketten ausgegeben hat.

Das Ausmaß

Das Ausmaß des Plakettenbetrugs ist noch unklar. Die betroffenen Fahrzeuge können überall unterwegs sein. Wurden sie etwa nach Norddeutschland verkauft, fahren sie dort jetzt mit anderen Kennzeichen herum – die Ermittlungen dürften noch viele Monate in Anspruch nehmen.