Klicken Sie sich durch unsere Bildergalerie. Foto: Max Kovalenko/PPF

100 junge Kreative aus der ganzen Welt machen derzeit in nur drei Tagen das Nordbahnhofviertel schöner.

Stuttgart - Die Bedingungen sind verschärft: „Kein Bier für Teilnehmer“ steht auf der Getränkekarte, die auf der Theke der Bar auf dem Gelände der Wagenhallen klebt. Dabei ist es so günstig – und es dürstet einen gar sehr, bei all dem Denken und Werken.

Aber die 100 Teilnehmer aus 20 Nationen – Architekten, Künstler, Stadtbauer, Designer und Soziologen –, die bei dem Architekturfestival 72 Hours Urban Action dabei sind, sollen sich freilich klaren Kopfes ihrer Mission widmen – und diese dann auch umsetzen, ohne sich zu verletzen. Die zehn Teams bekommen jeweils eine Aufgabe an einem sogenannten Problemort im öffentlichen Raum im Nordbahnhofviertel zugewiesen. An diesem sollen sie mit einem knappen Budget von 800 Euro pro Team drei Tage lang entwerfen und bauen.

Am Mittwochabend um 18 Uhr erhalten die Gruppen ihre Missionen zugewiesen. Nun heißt es: den Ort inspizieren, diskutieren, Ideen sammeln, sich für eine entscheiden und einen Entwurf skizzieren. Und das über Nacht. Denn am Donnerstagmorgen steht bereits der Besuch des Statikers an.

An Schlaf ist also kaum zu denken, obwohl das Hotel Gefühle lockt. Es ist unterteilt in zwei Flügel, den Love Wing 1 & 2: Wie gerne möchten sich die Teilnehmer doch ihre weißen oder orangefarbenen Arbeiterhosen vom Leib streifen und sich in einem der Container am Rande der Wagenhallen in einem der Stockbetten eine Mütze Schlaf gönnen. Aber sie müssen eher zum Bauhelm greifen.

Ein Stromausfall legt alle tragbaren Computer lahm

Um den fehlenden Schlaf zu kompensieren, kann ein Sprung in den eigens für das Festival gefertigten Pool helfen – zumal ein Stromausfall am Donnerstagmorgen alle tragbaren Computer lahmlegt. Den Wasserscheuen bleibt ein Sonnenbad auf der ehemaligen Majerus-Rampe vom Schlossplatz, die zerlegt und zur Sitzwiese wieder zusammengesetzt wurde. Im zur Sauna umgebauten Container liegt ein Bündel Kleider auf dem Boden der Umkleidekabine.

Die Anwohner wünschen sich eine Schaukel für die Kinder

Warm wird es der Stuttgarter Architektin Selma Alihodzic (26) allein vom Abschrauben eines überdimensionalen Fahrradständers – der, so bringt es eine Teamkollegin von ihr auf den Punkt, für alle „a pain in the ass“, also saumäßig nervig war. Die Gruppe zwei hat die Mission „Toy Parking“ gegenüber des Tangoclubs Ocho auf dem Gelände der Wagenhallen zugewiesen bekommen. „Wir müssen die Bedürfnisse der Anwohner, der Kinder, die hier spielen und der Besucher des Ochos unter einen Hut bekommen“, sagt Alihodzic. Das Problem, das an diesem Ort bestehe, sei, dass die Tangobesucher ihre fetten Autos direkt vor dem Tangolokal parken – und die Anwohner, um dies ganz subtil zu unterbinden, Kinderspielsachen wie Bobby-Cars über die Sackgasse verteilen.

„Wir planen ein leicht erhöhtes Sonnendeck, das leicht in die Straße hineinragt und so die Parker vertreibt. Zudem sollen sich in diesem Wohnzimmer im Freien alle treffen können“, erklärt Alihodzic. Auch die Bobby-Cars sollen wieder einen Platz finden.

Auf der Nordbahnhofstraße, an der sich sieben Missionen befinden, wimmelt es vor Menschen in orangefarbener Kleidung auf Rädern, in deren Speichen orangefarbene Scheiben mit dem 72-Hours-Logo prangen. Die 72 Stunden sind allgegenwärtig – und schon gar nicht mehr wahr. 54 Stunden und 50 Minuten bleibt der Gruppe zehn, nachdem ihr Entwurf von dem Statiker Switbert Greiner, Geschäftsführer der Art Engineering GmbH aus Leinfelden-Echterdingen, erfolgreich abgenommen wurde.

Sie bauen für uns eine schönere Stadt – für sich eine Stadt in der Stadt

Das Team befasst sich mit einem kleinen Platz an der Ecke Nordbahnhof-/Eckartstraße. Dort befindet sich eine Apotheke, ein Norma und eine Bäckerei. „Dort trinken viele Alkoholiker ihr Bierchen“, erläutert ein Teilnehmer. Die Anwohner, die sie befragt haben, wünschen sich „eine Schaukel für die Kinder“. Die soll nun entstehen – überdimensional groß, so dass sie nur von einem Podest aus zu besteigen ist, und mit einem Vorhang, durch den man hindurchschaukelt. „Das Podest ist 1,30 Meter hoch?“, will Organisator Lukasz Lendzinski wissen. „Das ist ja fast wie eine Theke für die Alkis.“

Es geht streng zu – schließlich sollen die Bauwerke nicht nur temporär stehen bleiben. Nach dem Stress wünscht sich wohl auch so mancher Teilnehmer ein Bier. Aber das ist tabu. Dafür gibt es Mittagessen: Grüner und Kartoffelsalat mit Maultaschen – der Salat könnte aus dem Garten vor dem Hotel Gefühle stammen. Die Teilnehmer bauen uns eine schönere Stadt – aber sie haben auf dem Gelände der Wagenhallen längst eine eigene kleine Stadt gebaut. Eine Stadt in der Stadt. Eine Parallelwelt. Es scheint, es ist eine bessere Welt.

Das Siegerteam wird von einer Fachjury ausgewählt und bekommt 4000 Dollar. Am Samstag und Sonntag gibt es jeweils um 12 Uhr und um 18 Uhr Führungen, Treffpunkt ist die Bar an Tor sieben.