Im Konstanzer Konzilgebäude (links) wurde vor 600 Jahren der einzige Papst nördlich der Alpen gewählt. Die lateinische Inschrift „Habemus Papam“ (Wir haben einen Papst) war Teil einer Illumination mittelalterlicher Gebäude. Foto: Patrick Pfeiffer

Fast fünf Jahre lang feiert Konstanz das große Konzil vor 600 Jahren – im vierten Jahr 2017 steht die einzige Papstwahl nördlich der Alpen im Mittelpunkt. Das Veranstaltungsteam war mit hohen Maßstäben gestartet; es ist Zeit für eine erste Bilanz.

Konstanz - Es sind recht revolutionäre Töne, die da aus Konstanz zu hören sind – und das auch noch von einem katholischen Dekan. Aus der Wahl Martins V. am 11. November 1417 in Konstanz, der einzigen gültigen Papstwahl nördlich der Alpen, könne man einiges lernen, sagt nämlich Mathias Trennert-Helwig: Martin sei nicht einmal Priester gewesen, und es hätten damals nicht nur Kardinäle abgestimmt. „Also könnte es doch nicht unmöglich sein, eine neue Wahlordnung zu erlassen, bei der zum Beispiel Frauen als Kardinäle zugelassen sind“, sagt der Dekan. Und überhaupt: Wie könnte die Macht zwischen Vatikan und Konzil neu verteilt werden? – Wichtige Fragen, die wieder virulent seien.

Solche unorthodoxen Thesen und der Bogen aus dem tiefen Mittelalter in die Gegenwart dürften Ruth Bader gefallen. Die Geschäftsführerin des fünfköpfigen Teams, das die fast fünfjährigen Festivitäten rund um das Jubiläum zum Konstanzer Konzil (1414–1418) organisiert, hat ein zentrales Credo: „Welche Rechtfertigung hätten wir, während des Jubiläums zwölf Millionen Euro auszugeben, wenn wir nicht ständig nach dem Bezug zur Gegenwart fragen würden?“, sagt sie.

Im vierten Jahr, das unter dem Motto „Jahr der Religionen“ steht, wird dieser Brückenschlag sehr deutlich. Das Konzil beendete das fast vier Jahrzehnte währende Schisma mit drei Päpsten, indem sich die zerstrittenen Parteien an einen Tisch setzten, obwohl sie anderswo gegeneinander Krieg führten. Reden statt kämpfen lautet die Botschaft, die aktueller nicht sein könnte.

Das Konzil schaffte es nicht, Reformen anzustoßen

Zudem sollten auf dem Konzil Reformen in der Kirche angestoßen werden – doch das gelang nicht, vielmehr wurden die beiden böhmischen Reformer Jan Hus und Hieronymus von Prag, obwohl ihnen freies Geleit zugesichert war, auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Toleranz und Offenheit sind notwendig, heißt die zweite Botschaft, sonst schwelen die Konflikte weiter. Damals mündeten sie, fast auf den Tag genau 100 Jahre nach der Wahl Martins V., in die Thesen eines anderen Martins. Luther veränderte die Welt. Das Konzilsjubiläum ist deshalb 2017 vor allem ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit. 150 Jugendliche aus ganz Europa spielen im April die Papstwahl nach und suchen nach gemeinsamen Positionen. Eine Ausstellung im Archäologischen Landesmuseum betont, was vor einigen Jahrzehnten noch undenkbar gewesen wäre: dass Juden und Christen im Mittelalter friedlich in Konstanz zusammengelebt haben und dass der Pfarrer durchaus mit dem jüdischen Nachbarn Karten spielte, wie Ralph Röber vom Museum sagt. Und in der Kinderakademie spüren die Kleinen den Festen der Weltreligionen nach.

Vor 50 Jahren war das 550. Jubiläum des Konzils fast nur ein kirchliches Ereignis gewesen, heute gibt es rund 150 Veranstaltungen pro Jahr, insgesamt eine mittlere sechsstellige Zahl von Besuchern und vor allem ein klares aktuelles Bekenntnis. Besteht da nicht schon wieder die Gefahr, das Konzil zu instrumentalisieren? Denn so friedlich ging es nicht zu, die Papstwahl war von handfesten Eigeninteressen geprägt. Ruth Bader hat damit aber kein Problem: „Wenn man klarmacht, dass man eine bestimmte Brille aufhat, ist das legitim.“

Die Dramaturgin Bader hat viele freche Formate eingeführt

Jetzt, nachdem zwei Drittel des Jubiläumsmarathons vorüber sind, ist die Strategie Ruth Baders in Konstanz weitgehend unumstritten. Manchen Bürgern strahlt das Jubiläum zu wenig ins Land hinaus, manchen fehlen die ganz großen Höhepunkte. Aber der Oberbürgermeister Ulrich Burchardt lobt die 41-Jährige über den grünen Klee: „Wir sind sehr zufrieden und haben uns sehr an die Vielfalt der Veranstaltungen gewöhnt. Wir fragen uns eher, ob uns nach 2018 nicht etwas fehlen wird“, meint er. Dabei war der Start für Ruth Bader, die zuvor das Junge Theater in Konstanz geleitet hatte, ziemlich holprig gewesen. Nur mit einiger Mühe hatte sie 2009 den Gemeinderat von sich überzeugen können, manche hätten lieber eine zweite Bewerbungsrunde ausgeschrieben. Können wir wirklich, so fragten sich viele, einer jungen Theaterwissenschaftlerin und Dramaturgin die Organisation dieses Jahrhundertereignisses in Konstanz, zumindest in historischer Sicht, überlassen?

Jetzt kommt die Geschichte mit Ausstellungen und Vorträgen in aller Würde zu ihrem Recht, doch daneben sind derart freche Formate und so provokante Themen entstanden, dass mancher Historiker zwei Mal durchatmen muss. 2016 war die Prostitution damals und heute als Schwerpunkt gesetzt, und Ruth Bader veranstaltete deshalb Lesungen in einer Tabledance-Bar und Poetry-Slam unter der Rheinbrücke.

Hoher Anspruch: Maßstäbe setzen in Geschichtsvermittlung

Sie wolle Maßstäbe setzen in der Vermittlung von Geschichte, hatte sie vor Beginn der Feierlichkeiten gesagt. Ein sehr hoher Anspruch, an dem man eigentlich nur scheitern kann. Zumindest in Ansätzen aber wurde er in Konstanz eingelöst. So gab es eine Illumination auf Häusern der Altstadt, über dem Schnetztor flatterten Vögel umher – die historische Aussage dahinter war, dass jeder Mensch, der auf Dauer in der Stadt lebte, frei werden konnte. Zudem hat das Team unerwartete neue Themen gesetzt. 2018 zum Beispiel wird der Blick auf den europäischen Kulturaustausch gelenkt, der während des Konzils entstand. Und: Es konnten ganz neue Gruppen angesprochen werden – im Jubiläum etwa sind die Partnerstädte überaus aktiv.

Wie es 2018 nach den Feiern weitergeht, auch für sie persönlich, weiß Ruth Bader noch nicht. Aber im Moment mache sie sich darüber keine Gedanken: „Im Theater ist man an Zweijahresverträge gewöhnt, während mein jetziger Vertrag sogar zehn Jahre läuft.“ Das sei also doch fast ein paradiesischer Zustand. Ähnlich zufrieden dürften sich nur die Wahlmänner gefühlt haben, die im November 1417 schon nach drei Tagen einen neuen Papst erkoren hatten, trotz der extrem schwierigen Konstellation. Andere Konklaven hatten Monate gedauert, die längste zog sich sogar über drei Jahre hin.

Papstwahl 2.0
Bis zu 150 Jugendliche aus ganz Europa spielen vom 27. April bis zum 1. Mai die Konstanzer Papstwahl von 1417 nach. Jeder übernimmt eine historische Rolle, das Ende ist aber offen. Konferenzsprache ist Englisch, das Latein von heute.

Höhepunkte des Jubiläumsjahres 2017

Konzilspreis

Zum zweiten Mal wird im November 2017 der Konstanzer Konzilspreis vergeben. Die mit 10 000 Euro dotierte Auszeichnung geht an eine – noch nicht benannte – Person, die sich in besonderer Weise für ein Europa der Begegnung einsetzt. Vergangenes Jahr erhielt der Schweizer Theatermacher Milo Rau den Preis.

Zu Gast bei Juden

Das Archäologische Landesmuseum in Konstanz zeigt vom 8. April bis zum 29. Oktober eine Ausstellung über das friedliche Zusammenleben von Juden und Christen in Konstanz im Mittelalter. Während in vielen Ausstellungen meist nur die Ausgrenzung thematisiert worden sei, wolle man nun zeigen, dass es auch viele Berührungspunkte gab, so Patrick Rau vom Museum.

Oper

Die Oper „La Juive“ von Jacques F. Halévy, uraufgeführt 1835, spielt auf dem Konstanzer Konzil und ist ein leidenschaftliches Plädoyer für mehr Menschlichkeit und Toleranz. An Originalschauplätzen in der Konstanzer Altstadt finden in der Zeit vom 7. Juli bis 23. Juli mehrere Aufführungen statt.

Konziloratorium

Am 11. November, dem Tag der Papstwahl, gibt es in Konstanz nicht nur einen Festakt und einen Gottesdienst, sondern auch die Uraufführung eines Konziloratoriums, komponiert von Bernd Konrad.

Päpste im Südwesten

Auch in Mannheim findet das Konzil Resonanz: Die Reiss-Engelhorn-Museen planen eine große Sonderausstellung zum Thema „Die Päpste und die Einheit der lateinischen Welt“. Es geht um die Entwicklung des Papsttums von Petrus bis zur Renaissance.