Martin Harnik in Euphorie: So muss der VfB über 90 Minuten auftreten Foto: Bm

Zur Pause stand es 0:3. Dann zeigte der VfB Stuttgart, was mit viel Herz möglich ist. Bei allen Schwächen, und davon gab es erschreckend viele: Das 3:3 gegen Bayer Leverkusen ist ein Punkt für die Moral – und eine Chance.

Stuttgart - Armin Veh war bedient. Da ging es dem Trainer nicht anders als den Fans. Zur Pause hatte er Antonio Rüdiger ausgewechselt, aber nur, weil er der Schlechteste unter vielen unfassbar Schlechten war. „Das war nicht Bundesliga-tauglich, so darf man sich nicht präsentieren“, sagte Veh über den Auftritt seiner Mannschaft und zog eine Schnute, die jede Menge Verachtung ausdrückte.

Zu diesem verrückten Spiel gehörte aber auch dies: Sekunden später hellte sich seine Miene auf, ein Lächeln huschte über sein Gesicht, und da unterschied er sich nur insofern von den Zuschauern, dass die ihre Freude noch viel ungehemmter auslebten. „Nach der Pause haben wir eine wahnsinnige Moral gezeigt. Wenn wir es schon spielerisch nicht hinbekommen und nicht die Qualität anderer Mannschaften haben, müssen wir Herz zeigen und als Einheit auftreten. Das war heute der Schlüssel zum Unentschieden“, sagte Veh.

Von 0:3 auf 3:3 – selten hat der VfB zwei so extreme Gesichter gezeigt, und am Ende wusste keiner so genau zu erklären, warum das so war und ob und wie die Mannschaft sich und dem Anhang künftig die Fratze des ersten Durchgangs ersparen kann. „Die erste Halbzeit war das Schlechteste, was ich beim VfB erlebt habe“, sagte Martin Harnik, „die Hoffnung ist, dass wir dauerhaft das Gesicht der zweiten Halbzeit zeigen. Eine Garantie dafür gibt es aber nicht.“

Immerhin: Diesmal hat die Mannschaft keine Führung verspielt, diesmal hat sie sich aus schier aussichtsloser Lage einen Punkt erkämpft. Das ist psychologisch ein großer Vorteil: So war das 3:3 ein gefühlter Sieg. „Unsere Reaktion war überragend. Das ist das, was wir mitnehmen können“, sagte Daniel Schwaab.

Und das andere sollten sie nicht verdrängen, sondern sorgfältig aufarbeiten. „Die Reaktion in der zweiten Halbzeit darf uns nicht blenden“, mahnte Martin Harnik.

Das grausige Gesicht vor der Pause rührte von der mangelnden Einstellung her, womöglich aber auch von der nahezu komplett veränderten Abwehrreihe. Um bei Standards auf Ballhöhe zu sein, durfte Georg Niedermeier von Beginn an ran. Dafür rutschte Daniel Schwaab nach rechts und Florian Klein auf die linke Seite. Das passte erst mal überhaupt nicht zusammen. Zur Pause stand es 0:3, die Messe war gelesen – eigentlich.

Und die Mannschaft erwartete ein Donnerwetter in der Kabine, doch das kam nicht. Armin Veh blieb ruhig, richtete nur wenige Worte an die Spieler und bemerkte, „weil ich das selbst schon nach einem 0:3 erlebt habe“, dass sogar noch ein Sieg drin sei. „Die Mannschaft war am Boden. Da hätte es nichts gebracht, auf sie einzuprügeln“, sagte Thorsten Kirsch- baum und lobte Veh: „Der Trainer hat gute Worte gefunden.“ So empfanden das offenbar alle. Das Vertrauen, so scheint es, wächst gegenseitig. Und so fremd Vehs Hang zu launigen Sprüchen zuweilen wirkt („Ist alles so ernst hier“), ist das womöglich genau die Ansprache, die dem Team nicht die letzte Lockerheit und Sicherheit nimmt.

Gegen Leverkusen zumindest ging das Kalkül auf. Denn plötzlich kippte die Partie, weil die Gäste im Gefühl des sicheren Sieges einen Gang zurückschalteten und später nicht mehr in den Siegmodus zurückfanden – und weil der VfB, nun ohne Rüdiger und im neuen System (4-1-4-1 statt 4-3-3), ein wenig Struktur in sein Spiel brachte. So fielen das 1:3 und das 2:3, und plötzlich schienen alle beseelt, auf jeden Fall ein Unentschieden hinzubekommen. „Aus der zweiten Halbzeit können wir sehr viel Mut schöpfen“, sagte Harnik.

Überbewerten mochte den Punkt aber auch niemand. Denn welches Gesicht nun das wahre ist, vermag niemand zuverlässig einzuschätzen. Deshalb sagte Christian Gentner: „So viel Positives will ich gar nicht hören. Wir haben nach wie vor nur sechs Punkte.“ Um es mit Armin Veh zu sagen: Auf die Saison hochgerechnet ist das nicht Bundesliga-tauglich.