Draußen gibt es Energie fürs Auto Foto: factum/Weise

24 Stunden Ludwigsburg – in einer 24-teiligen Serie erzählen wir wie die Ludwigsburger und die Gäste der Stadt leben und arbeiten. Zwischen 20 und 21 Uhr halten viele Autofahrer an der Shell-Station in der Stuttgarter Straße – längst nicht nur zum Tanken.

Ludwigsburg - Ein Mann mit Motorradkutte geht zur Kasse der Shelltankstelle in der Stuttgarter Straße in Ludwigsburg, bezahlt den Sprit. Beim Verlassen des Gebäudes wird er von Justine Winkler abgefangen. Die junge Frau mit dem strahlenden Lächeln steht hier seit dem Nachmittag, sie hat einen Job als Promoterin, macht Werbung für Marlboro. Es ist 20 Uhr, noch eine Stunde, dann ist ihr Arbeitstag zu Ende. Justine Winkler fragt alle Kunden der Tanke, die mindestens 18 Jahre alt sind: „Rauchen Sie?“ Wenn die Antwort „Ja“ lautet, beginnt ihr eigentliches Geschäft.

Der Konzern, für den die junge Frau seit ein paar Wochen arbeitet, will möglichst viele Kontaktdaten von potenziellen Kunden bekommen. Wer mitmacht bei einem Gewinnspiel und seine E-Mailadresse angibt, bekommt eine Schachtel Zigaretten geschenkt. Der Mann in der Kutte, der gar nicht mit einem Feuerstuhl unterwegs ist, sondern mit einem schnöden Auto, spielt mit. Er erzählt, dass er es eigentlich eilig habe. Aber was tut der Schwabe nicht alles, wenn es etwas für umme gibt. Als Justine Winkler alle Daten des Mannes in ihren Tabletcomputer eingetippt hat, sagt der Mann, dass er jetzt ganz flott weiter fahre müsse zu einem Ludwigsburger Club, wo er ein paar Kumpels treffe. Justine Winkler sagt, mit dem Job als Promoterin verdiene sie gutes Geld. Sie wohnt in Heilbronn bei ihren Eltern, hat nach dem Abitur zwei Jahre lang als Au-pair in den USA gelebt und gearbeitet, will im Frühjahr anfangen zu studieren, in Heilbronn Tourismusmanagement. Ihren Master würde sie gerne in Amerika machen und danach gerne dort leben und arbeiten.

Promoterin sammelt Adressen und verteilt Zigaretten

Mittlerweile ist richtig viel los in der Tankstelle. Chiara Di Fazio steht hinter der Kasse, vor ihr eine Schlange von Menschen, die bezahlen wollen. Chiara Di Fazio ist 19 Jahre und macht eine Ausbildung zur Verkäuferin im Einzelhandel. Sie ist in Stuttgart geboren, aber immer wieder umgezogen, weil ihre Eltern ständig den Arbeitsplatz gewechselt haben. Seit einem Jahr ist die Auszubildende nun in Ludwigsburg – und ganz zufrieden, auch mit den unregelmäßigen Arbeitszeiten. Die Tankstelle ist rund um die Uhr geöffnet. An diesem Samstag hat Chiara Di Fazios Schicht um 15 Uhr angefangen, gegen 23 Uhr ist Schluss. Es sei cool, dass sie unter der Woche tagsüber immer wieder länger frei habe.

Manche Kunden tanken einen Energydrink oder ein Bier

Die Männer und Frauen, die an diesem Abend zur Tankstelle kommen, wollen längst nicht alle Benzin oder Diesel tanken. Manche tanken auch einen Energydrink oder ein Bier. Ein Ehepaar gibt bei Ferat Cenan ein Paket ab. Ein Mann will Geld abheben. Cenan arbeitet seit sieben Jahren gelegentlich als Aushilfe bei der Tankstelle in Ludwigsburg. Im Hauptberuf ist er bei Porsche in der Sattlerei beschäftig. Er wohne nur eine paar Schritte von der Shellstation entfernt, übernehme oft Nachtschichten. Bei Porsche, sagt er, „arbeiten wir doch nur 35 Stunden in der Woche“. Der Nebenjob gefalle ihm, auch weil dieser so vielfältig sei. „Wir haben einen Hermes-Paketshop, einen Bankomat und eine Konzession für Alkoholverkauf auch nach 22 Uhr.“

Draußen vor der Waschstraße steht ein Mann, guckt hinein in die Kabine mit den Putzgerätschaften. Er hat eben einen Fiat 500 rein gefahren. Den Kleinwagen habe er eigentlich seinen Kindern gekauft, aber die ließen das Schmuckstück viel zu oft stehen. Geputzt wird der Wagen offenbar auch nur selten. Also schreite er jetzt zur Tat, sagt der Mann. Mit dem frisch gewienerten Auto werde er einen Nostalgietrip unternehmen durch die Ludwigsburger Nacht.

Stanislaw Wampirski betritt den Verkaufsraum der Tankstelle. Der 63-jährige Truckfahrer ist bei allen Mitarbeitern bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund. Wampirski sagt: „Ich komme immer zum Zocken und wegen meiner Töchter.“ Er füllt einen Lottoschein aus und erzählt, dass seine drei erwachsenen Mädchen bei der Tankstelle arbeiten. Wenn er sie sehen wolle, dann müsse er halt her kommen. An diesem Abend ist zwar keine Tochter im Dienst, also er schwätzt ein bisschen mit Chiara Di Fazio und Ferat Cenan. Man kennt sich. Nach ein paar Minuten fährt Stanislaw Wampirski wieder heim. Er wohnt in Grünbühl, bestimmt kommt er am nächsten Tag wieder.

„An Feiertagen ist bei uns die Hölle los“

Chiara Di Fazio erzählt, dass die Tankstelle viele Stammkunden habe. Auch einige Männer und Frauen, die regelmäßig zum Großeinkauf kämen, die zum Beispiel Butter, Wurst und Käse holten. „An Feiertagen ist bei uns die Hölle los.“ Nazmiye Sedef ist auch so eine Wiederholungstäterin. Sie wohnt in Erdmannhausen, arbeitet bei Bosch in Feuerbach in der Produktion. An diesem Abend hat sie ihren Boyfriend im Schlepptau und erzählt, dass sie eigentlich in der Stadt schnell noch etwas hätten trinken wollen. „Wir haben aber keinen Parkplatz gefunden, deshalb sind wir jetzt hier.“

Die beiden bestellen Kaffee, stehen an einem Bistrotisch, plaudern. Dann ein Abschiedsküsschen – und Nazmiye Sedef macht sich auf den Weg zur Arbeit. Sie hat Nachtschicht. Justine Winkler hat Feierabend. Sie packt den Promotionstand in ihr Auto und fährt heim. Am nächsten Tag wird sie in einer Tankstelle in Stuttgart-Vaihingen arbeiten.