Muss eine Schwangere zur Geburt ihres Babys für fachkundige Hilfe sorgen? Unter anderem diese Frage wird das Landgericht beantworten müssen. Foto: dpa

Eine Tragödie beschäftigt das Landgericht: Eine Schwangere irrte stundenlang umher, brachte in einem Keller einen Jungen zur Welt. Nun ist sie wegen fahrlässiger Tötung angeklagt.

Stuttgart/Rems-Murr-Kreis - Eine junge Frau, deren Baby vor mehr als zwei Jahren kurz nach seiner Geburt gestorben ist, muss sich seit Dienstag vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten. Der 21-Jährigen wird fahrlässige Tötung vorgeworfen. Die damals 18-Jährige soll den Jungen heimlich im Keller eines Hauses im Remstal zur Welt gebracht haben, das sie mit ihrer Mutter bewohnte. Das Kind starb mehrere Stunden später an den Folgen von Sauerstoffmangel. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass das Kind hätte überleben können, wenn sich die junge Frau um eine fachgerechte Geburt gekümmert hätte.

Nach der Geburt im Dämmerzustand

Die damals 18-Jährige war in der Nacht auf den 14. Oktober 2014 zu Fuß auf dem etwa vier Kilometer langen Heimweg von einer Geburtstagsparty gewesen, als die Wehen einsetzten und schließlich die Fruchtblase platzte. Statt sich mit ihrem Smartphone oder bei Nachbarn Hilfe zu holen, sei die junge Frau – so die Staatsanwältin – mehrere Stunden lang nach Hause gegangen, habe zwischenzeitlich auch die Orientierung verloren. Auch dort habe sie sich nicht an ihre Mutter gewandt, mit der sie zusammenlebte, sondern sei in den Keller gegangen, um das Kind dort zur Welt zu bringen, so die Anklage. Nach der Geburt eines Jungen habe sie diesen noch in ein Tuch gehüllt, bevor sie in eine Art Dämmerzustand verfallen sei. Auch habe sie sich aufgrund einer sogenannten Peroneuslähmung, einer durch den Geburtsvorgang ausgelösten Nervenschädigung, kaum bewegen können. Am Abend aber habe sie den Tod des Säuglings festgestellt. Möglicherweise sei der Sauerstoffmangel auch auf das Tuch zurückzuführen gewesen.

Dem Vernehmen nach haben Mutter und Tochter den toten Säugling bald darauf in einer Babyklappe in Stuttgart abgelegt. Die genauen Umstände und die Hintergründe der Tragödie bleiben aber vorerst im Dunkeln. Denn die Zweite Große Jugendkammer des Landgerichts hat die Öffentlichkeit auf Antrag des Rechtsanwalts Jens Rabe für die Vernehmung der 21-Jährigen ausgeschlossen. Der Jurist hatte ausgeführt, dass der Vorfall seine Mandantin nach wie vor sehr belaste, sie nach einer langen Phase der Abkapslung aber wieder begonnen habe, Fuß zu fassen – an einem neuen Wohnort in einem völlig neuen Umfeld, das nichts von der Tragödie wisse. Wenn jetzt Details aus ihrer Privatsphäre und ihrem Sexualleben öffentlich würden, sei die Gefahr groß, dass diese Entwicklung nachhaltig gestört würde.

Öffentlichkeit von Vernehmung ausgeschlossen

Das Gericht kam diesem Antrag nach. Zwar bestehe, so die Vorsitzende Richterin Sina Rieberg, aufgrund der Umstände durchaus ein allgemeiner Aufklärungsbedarf, doch das öffentliche Interesse überwiege das Schutzbedürfnis der Angeklagten nicht. Auch die Befragung durch einen psychologischen Sachverständigen wird wohl hinter verschlossenen Türen stattfinden. Unklar bleibt deshalb zunächst, ob die äußerst zierlich wirkende Frau ihre Schwangerschaft verheimlicht und bewusst nicht einmal die Hilfe ihrer Mutter gesucht hatte oder ob sie mit der Situation einfach überfordert war.

Das Gericht wird zum einen die Frage klären müssen, ob es strafbar sein kann, eine Geburt ohne fachgerechte Hilfe einzuleiten. und ob die Frau die Folgen hätte voraussehen können. Außerdem muss wohl ergründet werden, wozu sie körperlich in der Lage gewesen war, nachdem sie in den Dämmerzustand gefallen war.

Die Große Jugendstrafkammer nämlich hat zur Prozesseröffnung angedeutet, dass auch eine Verurteilung wegen Totschlags durch Unterlassen in Betracht komme. Deswegen war der Fall, der ursprünglich beim Waiblinger Amtsgericht gelegen hatte, vom Landgericht übernommen worden. Der Prozess wird am kommenden Donnerstag fortgesetzt.