Die „South Park“-Kernmannschaft: Stan, Kyle, Cartman und Kenny (von links) Foto: Comedy Central

Seit 20 Jahren tritt die amerikanische Trickserie „South Park“ Konservativen, Liberalen und Unpolitischen kräftig auf die Zehen. Prüderie hat hier nichts zu suchen. Und produziert wird auch ganz anders als beim US-Fernsehen üblich.

Stuttgart - Die Welt ist schön, nur unsere Wörter sind schmutzig. Denken sich Amerikas Fernsehverantwortliche und greifen zur elektronischen Schiedsrichterpfeife, um die schöne Welt vor hässlichen Kraftausdrücken zu schützen. Drehbücher kann man vorab kontrollieren, aber wo in Reportagen, Interviews und Talkshows doch mal jemand ein fieses Wort wie „Shit“, Scheiße also, aus dem Mund rutscht, wird das prompt von einem schrillen Pieplaut überlagert.

Diesen Foulspiel-Pfiff der Moralapostel hat die Zeichentrickserie „South Park“ zu Beginn ihrer fünften Staffel im Jahr 2002 gekonnt auf die Schippe genommen. Die rüde Bande Drittklässer, die das Kernpersonal von „South Park“ stellt, bebt in der Folge „It Hits The Fan“ (in der deutschen Fassung: „Verfluchtes Fluchwort“) vor Erwartung, weil sich herumspricht, in der Krimiserie „Cop Drama“ werde eine der Figuren „Scheiße“ sagen – ein Ereignis, das auch die Erwachsenen in Vorfreude versetzt, als sei die rückstandslose Umwandlung von Plastikmüll in krebsheilenden Veganzwieback mit Steakgeschmack erfunden worden.

Ziemlich viel Scheiße

Während Cartman, Kyle, Stan und Kenny, wie die unknuffigen Schandmäuler heißen, der spektakulären Sonnenfinsternis der Medienkultur entgegenfiebern, fällt in ihren eigenen Dialogen andauernd das Wort Scheiße. Ein Zählwerk im Bild protokolliert: 162-mal in 23 Minuten. Die Dreistheit der Folge liegt aber nicht allein darin, wie oft Zeichentrickkinder nebenbei jenes Wort aussprechen, dessen Lautwerdung ein Erdbeben im Erwachsenenfernsehen wäre. Noch ätzender wirkt der Rest der Knirpsgespräche, neben dessen Vulgarität und Obszönität das auf „Scheiße“ fixierte Zählwerk so tapfer überfordert wirkt wie ein Spazierstock als Regenschirm im Wolkenbruch.

Der dicke, distanzlose, maulige, egomanische und nervige Cartman etwa fährt Kyle regelmäßig an, er habe wohl „Sand in der Vagina“, wenn der nicht wohlwollend genug auf Cartmans Äußerungen reagiert. Auch der Humor von Kenny geht entschieden ins Hafenkneipenhafte, was man aber immer nur aus den Antworten seiner Kumpel vermuten kann. Denn was der stets fest in seinen Parka vermummte Kenny sagt, wird von der den Mund verdeckenden Kapuze zum für uns Zuschauer unverständlichen Brummeln und Quäken gedämpft. Im Normalfall scheint es aber etwas zu sein, das als Beitrag beim Gedichtwettbewerb der baptistischen Kindergottesdienstscharen nicht auf den vorderen Plätzen landen würde.

Alles oder nichts

Unglaublich also, dass im Land des TV-Zensurpiepsers ausgerechnet „South Park“ zum Langzeiterfolg wurde. Am 13. August 1997 lief die erste Folge beim Kabelkanal Comedy Central. Dessen Manager gaben offen zu, dass einzig „South Park“ das Überleben des seit seines Sendestarts 1990 vor sich hin schwächelnden Projekts gesichert habe. Einzig aus der „Alles oder nichts“-Mentalität eines vor der Schließung stehenden Senders ist wohl zu erklären, dass die „South Park“-Erfinder Trey Parker, Jahrgang 1969, und Matt Stone, Jahrgang 1971, grünes Licht für eine Pilotfolge ihrer garstigen Kindergeschichte bekommen hatten.

In der geht es gleich mal um Ufos, Analsonden, Furzorgien und teleskopartige außerirdische Gerätschaften, die aus Cartmans Hintern herauslugen. Gleich käme, warnte ein anschließend vor allen Folgen eingesetzter sarkastischer Vorspann, vulgäre Sprache, und auch der Vorkommnisse wegen sei das Gezeigte für keine Altersklasse geeignet. Parker und Stone spielten von Anfang an mit dem Reiz des Verbotenen.

Gegen Rassismus und Lifestyle-Moden

„South Park“ ist in jener Gegend angesiedelt, die dem konservativen Amerika als Bollwerk gegen die liberale Verluderung der großen Städte gilt, im ehemaligen Wilden Westen, in Colorado. Anfangs entstand die Serie auch in Denver, aber so sehr sie sich über Alltagskultur, Meinungen und Besessenheiten der Provinzkonservativen lustig macht, über Machotum, Waffenfetischismus, Rassismus, Xenophobie und religiöse Bigotterie, sie widmet sich mit der gleichen Inbrunst liberalen und linken Moden, Glaubenssätzen, Weltverbesserungsoffensiven und Lifestyle-Pikiertheiten. Sie vergisst dabei aber nicht, auch dem politisch desinteressierten, bildungsfeindlichen und horizontlos momentfixierten Konsumentenvolk der Mitte auf die Zehen zu treten.

Böser als die Simpsons

Böser als die „Simpsons“ wollte „South Park“ von Anfang an sein – und vermutlich auch die Albtraumvariante der philosophischen „Peanuts“-Kinder von Charles M. Schulz. Mehrheitsfähig war die Serie jedenfalls nie. Nachdem sie rasch als derbste Frechheit des Fernsehens international gehypt worden war, schossen die Zuschauerzahlen zwar auf 5,5 Millionen zum Start der zweiten Staffel empor. Sie brachen aber auch schnell wieder um fast die Hälfte ein.

Zum Wunder von „South Park“ gehört auch, dass die Verantwortlichen nicht in Panik gerieten, nicht einem vermeintlich anderes verlangenden Publikum hinterherproduzierten, um dann mit einem nicht zu rettenden Mischmasch zu enden. „South Park“ durfte Kurs halten, erarbeitete sich ein Stammpublikum und Langzeitwirkung. Stone und Parker konnten schließlich in ein eigenes Studio nach Kalifornien umziehen.

Alles ganz spontan

Auch dort arbeiten sie noch heute mit ihrem Stab ganz anders als beim Fernsehen üblich. Drehbücher vorab bekommt niemand zu sehen – weil es sie gar nicht gibt. Jede Woche entsteht jede Folge unter heftigem Zeit- und Kreativitätsdruck ganz frisch. Manchmal bekommt der Sender die aktuelle Folge erst kurz vor der Ausstrahlung via Satellitenleitung zugeschickt.

In zwanzig Jahren sind die Schreckensgören übrigens mal eine Grundschulklasse vorgerückt, von der dritten in die vierte. Bei dem Tempo dürfte uns die Serie noch eine Weile erhalten bleiben, bevor sie unseren Urenkeln ganz Ungeheures zumuten muss: dass die sowieso schon sexistischen Schmutzfinken Cartman und Co. auch noch in die Pubertät kommen.

Sender: Die deutschen Fassungen von „South Park“ gibt es bei Comedy Central. Amazon bietet die Serie als Stream an.