Nana Rademacher Foto: Schlabschi

Zum zehnten Mal finden in Stuttgart die Kinder- und Jugendbuchwochen statt, vom 17. bis zum 28. Februar stellen 80 Verlage im Treffpunkt Rotebühlplatz 4000 Bücher aus. Über eines davon haben wir mit der in Stuttgart lebenden Autorin Nana Rademacher gesprochen

Stuttgart – - Frau Rademacher, Sie skizzieren in „Wir waren hier“ ein düsteres Szenario: Berlin im Jahr 2039, das öffentliche Leben in der Stadt ist zusammengebrochen, eine Militärdiktatur regelt das Überleben. Vor diesem Hintergrund schicken Sie eine 15-Jährige auf die Suche nach einer besseren Zukunft. Warum haben Sie einen so finsteren Hintergrund für einen Jugendroman gewählt?
Das scheint mir gar nicht so ungewöhnlich. Die Jugendlichen sind ja direkt betroffen von den großen Krisen unserer Zeit: Kriege rücken näher, der Klimawandel, Wirtschaftskrisen und so weiter. Es sind beunruhigende Zeiten, es ist nicht sicher, dass alles gutgehen wird, und was ist dann? Ich versuche, die Leserinnen und Leser ein wenig für die Fragilität und Komplexität unserer Welt zu sensibilisieren.
Mit welchem Ziel?
Die Frage des Buchs ist letztlich: Wie können wir verhindern, dass es zu noch größeren Katastrophen kommt und die Welt komplett aus den Fugen gerät? Die Geschichte ist ja nicht nur düster, sie handelt auch von der Liebe, von Freundschaft und von der Sehnsucht nach einem guten Leben. Außerdem stellt das Buch die Frage: Was macht den Menschen zum Menschen? Und es feiert die Fantasie, die überlebenswichtig ist.
Sie folgen der 15-jährigen Anna bei ihrem spannenden Überlebenskampf, sie lernt Widerstand und Untergrund kennen, flüchtet aus einem Mädchenheim und schlägt sich durch verlassene Landschaften. Müssen Mädchen heute so stark sein?
Starke Mädchen gab es in der Literatur ja schon immer. Zu diesem Thema fallen mir natürlich sofort Pippi Langstrumpf und Ronja Räubertochter ein. Erst kürzlich hat eine Zeitung den ersten zeichnerischen Entwurf von Ronja gezeigt, den Astrid Lindgren wohl zu zart und mädchenhaft fand. Mädchen brauchen auch heute starke Vorbilder in ihrer Altersklasse. Selbstbewusstsein und die Fähigkeit zur Selbstbehauptung zu entwickeln ist wichtig. Trotz aller Emanzipation sind Frauen noch zu oft im Hintertreffen.
Wie fiel Ihre Wahl auf Berlin als Handlungsort von „Wir waren hier“?
Ich habe mich bewusst für eine Großstadt entschieden, die viele Menschen kennen, so dass Orte und Wahrzeichen wie der Fernsehturm einen hohen Wiedererkennungswert haben. Außerdem war es natürlich wichtig, ein weitverzweigtes, unübersichtliches U-Bahn-Netz zur Verfügung zu haben, das ja der Widerstand als sein Quartier nutzt. Und Berlin ist weiterhin Hauptstadt und Sitz der Militärregierung.
Hat Sie ein konkretes Ereignis zu dieser Geschichte inspiriert?
Das war Zufall. 2011 stolperte ich über einen Kurzgeschichten-Wettbewerb, den Jugendliteraturpreis der deutschen Landwirtschaft zum Thema „2084 – schönes neues Landleben“. Die Veranstalter zielten auf die literarische Umkehrung der düsteren Orwell’schen Vision ab. Wenn ich den Zustand der Welt betrachte, konnte ich mir beim besten Willen kein schönes neues Landleben in der Zukunft vorstellen. Also schrieb ich Annas Blog – das waren damals fünf Seiten –, der mit dem Traum vom schönen, aber nicht existierenden Landleben endete.
Wie kam Ihr düsteres Szenario an?
Unnötig zu sagen, dass ich den Wettbewerb natürlich nicht gewonnen habe! Aus diesen fünf Seiten entwickelte ich damals dann den Roman, der heute als hochaktuell wahrgenommen wird.
Dystopische Szenarien sind ja gerade angesagt. Sie gönnen der Geschichte von Anna ein Happy-End. Hat jeder seine Zukunft tatsächlich selbst in der Hand?
Man kann seine Zukunft immer in einem gewissen Maß gestalten, und genau das zeigt die Geschichte. Je beengter die Verhältnisse sind – und in Annas Leben sind die Wahlmöglichkeiten sehr eingeschränkt –, desto schwieriger wird es. Aber Anna schafft es doch, ihre ganz eigene Welt zu gestalten und ihre besonderen Stärken zu entwickeln, Mut und Fantasie.
Warum haben Sie entschieden, für Jugendliche und nicht für Erwachsene zu schreiben?
Mein erstes Buch war eines für Erwachsene, ein Regiokrimi: „Seelenruh“ spielt in Freiburg, wo ich viele Jahre verbracht habe, und stellt übrigens auch eine starke Frau in den Mittelpunkt. Aber eigentlich hat es mich schon immer gereizt, für Jugendliche zu schreiben. Ich lese selbst viel und gerne Jugendliteratur. Es ist interessant und eine Herausforderung, komplexe Themen in recht einfachen Geschichten zu verhandeln und zugänglich zu machen.